Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
war hundertzehn zu sechzig, meine Temperatur, Puls und Atmung waren normal. Das weiß ich, weil ich jedes Mal auf die Karteikarte schielte, wenn er etwas notierte. In ein umrandetes Feld ganz unten schrieb er Symptomenkomplex nach Gehirnerschütterung. Ich war glücklich, als ich feststellte, dass ich durch den Unfall nicht die Fähigkeit verloren hatte, verkehrt herum zu lesen. Ich wurde verschiedenen Behandlungsprozeduren unterzogen, und die meisten waren ziemlich schmerzhaft — unter anderem bekam ich eine Tetanusspritze, bei der ich fast ohnmächtig geworden wäre.
»Ich denke, wir sollten Sie über Nacht hier behalten«, sagte er. »Es sieht zwar so aus, als seien Sie nicht schwer verletzt, aber Ihr Kopf musste allerhand aushalten. Mir wäre wohler, wenn wir Sie auf jeden Fall noch während der nächsten zwölf Stunden zur Beobachtung hier hätten. Sollen wir jemanden verständigen?«
»Ist nicht nötig«, murmelte ich. Ich war zu zerschlagen, um zu protestieren, und außerdem fürchtete ich mich vor der Welt da draußen viel zu sehr. Er ging ins Schwesternzimmer, das ich durch ein mit halb geschlossenen Jalousetten versehenes Innenfenster überschauen konnte. Im Korridor war ein Deputy des Sheriffs aufgetaucht. Aus meiner Sicht in horizontale Streifen zerschnitten, unterhielt er sich mit einer jungen Angestellten und zeigte über ihre Schulter auf das Zimmer, in dem ich saß. Die anderen Kabinen in der Notaufnahme waren leer, die ganze Abteilung ruhig. Der Deputy konferierte mit dem Doktor, der offensichtlich zu dem Schluss kam, dass ich fit genug war, um Fragen zu beantworten; es interessierte ihn natürlich, wie mein Auto in den Abwassergraben geraten war.
Der Deputy hieß Richie Windsor, ein Polizist mit einem Babygesicht, Stupsnase und von Sonnenbrand geröteten Pausbacken. Er musste ein Anfänger sein, kaum einundzwanzig, knapp über der untersten Altersgrenze für einen Deputy. Er hatte haselnussbraune Augen und hellbraune Haare, die er seitlich und im Nacken sehr kurz trug. Noch war er nicht lange genug dabei, um mir mit dem unverbindlichen, paranoiden Gesichtsausdruck gegenüberzutreten, dessen sich seine älteren Kollegen befleißigen. Ich schilderte ihm den Zwischenfall methodisch, ließ keine Einzelheit aus. Er machte sich Notizen und unterbrach mich hin und wieder mit einer begeisterten Bemerkung in einem aufgesetzten mexikanischen Akzent. »Whoa !«, sagte er oder: »Also, das gibt’s doch nicht, kemosabe !« Er schien fast neidisch, dass jemand versucht hatte, mich umzubringen.
Als ich mit meiner Rede fertig war, sagte er, er werde über Funk eine Fahndung hinausgehen lassen, falls der Dodge noch irgendwo in der Gegend sei. Wir wussten beide, wie schlecht die Chancen standen, den Mann noch abzufangen. Wenn er schlau war, ließ er das Fahrzeug bei der ersten Gelegenheit stehen. Als der Deputy gehen wollte, grapschte ich impulsiv nach dem Ärmel seiner Uniformjacke.
»Nur noch eins«, sagte ich. »Der Doktor möchte mich über Nacht hier behalten. Lässt es sich vielleicht geheim halten, dass ich hier liege? Das ist das einzige Krankenhaus weit und breit. Der Kerl braucht also nur in der Aufnahme anzurufen und erfährt sofort, wo ich bin.«
»Ein guter Punkt, amigo «, sagte er und steckte seinen Kugelschreiber ein. »Will sehen, was sich da tun lässt.«
Schon nach ein paar Minuten schickte mir die Aufnahme eine junge Angestellte; sie brachte einen Rollstuhl mit, ein Klemmbrett voller Formulare, die ausgefüllt werden mussten, und ein Plastikarmband mit einem Papierstreifen darin, der zu meiner Identifizierung diente und das sie mir mit einer Art Locher am Handgelenk befestigte.
Carl LaRue und seine Frau hatten die ganze Zeit geduldig im Korridor gesessen. Während gewissermaßen noch letzte Hand an mein Bett gelegt wurde, ließ man die beiden zu mir. Der Deputy hatte den beiden alten Leutchen offensichtlich erklärt, wie die Dinge lagen.
»Wir verraten keinem, wo Sie sind, da können Sie ganz sicher sein«, sagte Carl.
Seine Frau tätschelte mir die Hand. »Sie dürfen sich keine Sorgen machen. Ruhen Sie sich einfach aus.«
»Ich bin Ihnen so dankbar für alles, was Sie getan haben«, sagte ich. »Ich kann Ihnen gar nicht genug danken. Wahrscheinlich wäre ich schon tot, wenn Sie nicht vorbeigekommen wären.«
Carl trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Ach was! Das war doch nichts Besonderes. Ich bin froh, wenn ich helfen kann. Wir haben auch Kinder und wären glücklich,
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