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Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Titel: Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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näher, sondern warf das Montiereisen in den Lieferwagen, stieg ein, schob sich hinter das Steuer und schlug die Tür zu. An dem geschlossenen Fenster auf der Fahrerseite hing ein Pappschild. Wie bei einem Sehtest las ich die oberste Zeile; sie lautete: Wie Besichtigt, und darunter waren noch ein paar Druckzeilen. Der Aushang einer Gebrauchtwagenfirma, vermutlich mit Baujahr, Kilometerstand und Preis. Als der Motor aufheulte und der Lieferwagen anfuhr, glaubte ich, ein Gesicht kurz zu mir herüberspähen zu sehen. Es traf mich wie ein Schlag. Ich hatte das Gefühl, das Gesicht zu kennen, aber mir blieb nicht genug Zeit, mich mit der flüchtigen Erinnerung zu befassen. Schmerz überfiel mich, und die Schwärze kam immer näher, engte mein Blickfeld ein, bis es nur noch ein langes, dunkles Rohr war, mit einer kleinen runden Öffnung am anderen Ende, durch die glimmendes Tageslicht fiel. Ich atmete tief, um einen klaren Kopf zu bekommen, und erhaschte, als ich aufblickte, gerade noch einen letzten Blick auf den Lieferwagen, der nach Norden in Richtung Mecca raste. Das Kennzeichen war mit Schlamm beschmiert, Zahlen waren nicht zu erkennen.
    Auf der Straße fuhren zwei Wagen vorbei, die nach Süden wollten. Der Fahrer im zweiten Wagen — einem älteren Ford Sedan — schaute ungläubig zweimal hin, als er meinen halb im Kanal versunkenen VW erblickte. Er hielt an, schaltete in den Rückwärtsgang und kam zurück, wobei sein Oldtimer jämmerlich quietschte. Das Adrenalin, das durch meinen Körper raste, bäumte sich zu einer hohen Welle auf, und ich begann zu zittern. Es war vorbei. Ich hörte mich laut weinen — vor Schmerz, vor Angst, vor Erleichterung.
    »Brauchen Sie Hilfe?« Der alte Mann hatte seinen Wagen auf den Randstreifen gesetzt und kurbelte das Fenster herunter. Verschwommen kam mir zu Bewusstsein, dass er vermutlich die Reifenspuren zerstörte, die der Dodge vielleicht hinterlassen hatte, aber der gekieste Randstreifen schien mir für brauchbare Abdrücke ohnehin zu hart. Zur Hölle damit! Ich hatte es halbwegs heil überstanden, nur das war mir wichtig. Ich schob die Pistole in die Handtasche, stand taumelnd auf und watete durch den Kanal zur Straße. Als ich die Böschung hinaufkletterte, rutschte ich mit meinen Tennisschuhen auf dem glitschigen Boden immer wieder aus. Der alte Mann musterte die Beule an meiner Stirn, mein wild zerzaustes Haar, mein blutverschmiertes Gesicht, die triefend nassen Jeans. Ich wischte mir die Nase am Ärmel ab und stellte fest, dass Blut war, was ich für Tränen gehalten hatte. Ich stand unsicher auf den Beinen, schwankte und fühlte, wie die ohnehin schon gänseeigroße Beule in der Mitte meiner Stirn immer größer wurde, als wachse mir ein Horn. Schmerz donnerte durch meinen Kopf, und zum ersten Mal spürte ich Übelkeit. Ich ging auf den Wagen des alten Mannes zu und merkte, dass seine Besorgnis wuchs, als er sah, wie wacklig ich war. »Schwester, Sie hat’s erwischt.«
    »Gibt es eine Möglichkeit, die Autobahnstreife zu rufen? Jemand hat mich eben von der Straße abgedrängt.«
    »Klar gibt es die. Aber soll ich Sie nicht zuerst irgendwohin mitnehmen? Am dringendsten scheinen Sie mir einen Arzt zu brauchen. Ich wohne ein Stück weiter oben an der Straße.«
    »Ich bin in Ordnung, brauche nur ein Fahrzeug, das mein Auto aus dem Graben zieht...«
    »Jetzt hören Sie mir einmal zu, junge Dame. Ich rufe den Sheriff an und schicke einen Abschleppwagen her, aber ich lasse Sie nicht hier an der Straße stehen.«
    »Und ich lasse mein Auto nicht allein.«
    »Ihr Auto wird sich nicht von der Stelle rühren, und ich auch nicht, wenn Sie nicht tun, was ich sage.«
    Ich zögerte. Der VW hatte Totalschaden. Das ganze Heck schien kürzer geworden, der rechte hintere Kotflügel war eingedrückt. Der Wagen hatte ohnehin schon unzählige Beulen und Dellen gehabt, die beigefarbene Lackierung war zu Pastellblau oxidiert und hatte unzählige Roststellen. Ich hatte den Wagen fast fünfzehn Jahre lang gefahren. Mit tiefem Bedauern wandte ich mich von ihm ab und hinkte zur Beifahrerseite des Sedan. Mir war, als ließe ich ein vielgeliebtes Haustier zurück. Allem Anschein nach hatte ich mir das linke Bein verletzt, denn es wurde vom Knie aufwärts bis hinauf zum Oberschenkel langsam steif. Als ich mich später endlich traute, die Jeans herunterzuziehen, entdeckte ich eine Quetschung, groß und dunkel wie eine Aubergine. Der alte Mann beugte sich zur Beifahrertür herüber und öffnete

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