Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
— meinen Mut, meine Tüchtigkeit, meine Angst vor Abhängigkeit. Ich war drei Tage mit ihm zusammen gewesen, durch Äußerlichkeiten getrennt, durch den Selbsterhaltungstrieb und den Überlebensinstinkt zu einem Neutrum geworden. Nur Begehren konnte uns mutig genug machen, diese Kluft zu überschreiten, aber wer von uns beiden würde es wagen?
Ich sah ihm zu, als er die Tür absperrte. Ich sah ihm zu, als er die Lichter löschte und das Zimmer durchquerte. Ich stieg zwei Stufen hinauf, auf der dritten drehte ich mich um, hielt mich am Geländer fest und setzte mich, als Dietz auf mich zukam, auf die Stufe. Er stand vor mir, sein Gesicht auf der gleichen Höhe mit meinem. Das Zimmer hinter ihm war dunkel. Licht kam nur von oben, erhellte seine ernsten Züge. Er lehnte sich in den Kuss hinein, sein Mund war zuerst kalt, seine Lippen weich. Begehren durchzuckte mich wie eine Flammenzunge. Ich lag auf der Treppe, die Stufen schnitten mir in den Rücken, bis Schmerz und Verlangen zu einem einzigen Gefühl verschmolzen. Ich streichelte ihm die Wange, berührte sein seidiges Haar, während er das Gesicht an mir vergrub und durch mein Baumwoll-T-Shirt an meinen Brüsten saugte. Wir bewegten uns im Rhythmus eines gespielten Geschlechtsakts, voll bekleidet, die Körper gewölbt. Ich hörte, wie sich Stoff an Stoff rieb, hörte seinen Atem und meinen. Ich griff nach unten und berührte ihn. Er stieß einen fast unmenschlichen Laut aus, löste sich von mir und zog mich hinter sich her die Treppe hinauf. Das Bett war besser, und während wir uns küssten, zogen wir uns nach und nach aus. Als er sich nackt an mich presste, sagte er im ersten Hitzeschock mit einem leisen Stöhnen »oh, du lieber Herr Jesus!« Danach gab es bis zum Augenblick des Vergessens keine Worte mehr. Die Liebe mit diesem Mann war mit keiner anderen zu vergleichen, die ich bisher erlebt hatte — auf ihrem Höhepunkt wurde irgendwo ein Akkord angeschlagen, zeitlose Musik durchbebte uns, Geheimnisse enthüllten sich, Haut an Haut, Augenblick um Augenblick, bis wir miteinander verschmolzen. Ich fiel in einen tiefen Schlaf, meine Glieder mit seinen verschlungen, und wurde bis zum Tagesanbruch kein einziges Mal wach. Um sechs Uhr rührte ich mich und merkte undeutlich, dass ich allein im Bett lag. Ich hörte Dietz unten umhergehen. Er hatte das Radio eingeschaltet, und die Melodie eines Liedes von Tammy Wynette, die so wehmütig war, dass sie einem das Herz herausreißen konnte, wehte zu mir herauf. Doch diesmal machte es mir nichts aus.
Irgendwann klingelte es. Der Mann vom United Parcel Service (ein echter) brachte den Karton, der mir aus Brawley nachgeschickt worden war. Dietz nahm ihn entgegen, da ich noch tot war für die Welt. Bald darauf stieg mir frischer Kaffeeduft in die Nase. Ich stand auf, machte das Bett, tastete mich ins Bad und putzte mir die Zähne. Ich duschte, wusch mir die Haare und zog dann die Jeans und das T-Shirt an, die ich am Abend zuvor getragen hatte. Noch war beides nicht reif für die Schmutzwäsche. Ich ging hinunter.
Dietz saß an der Küchentheke auf einem Barhocker. Er hatte das leere Saftglas und die leere Breischüssel zur Seite geschoben und die Zeitung vor sich ausgebreitet, um lesen zu können. Er griff mit der Hand nach hinten, und ich legte die Arme um ihn. Er küsste mich, und sein Mund war so frisch, dass ich den Frühstücksbrei schmeckte. »Geht es dir gut?«, fragte er.
»Ja. Und dir?«
»Mmm. Dein Paket ist angekommen.«
Der Karton stand direkt hinter der Tür, von mir selbst an mich adressiert. »Hast du es auf Spreng- und Brandsätze untersucht?«
»Es ist in Ordnung«, sagte er trocken. »Mach’s ruhig auf.«
Ich nahm ein Schälmesser aus der Küchenschublade und schlitzte das Klebeband auf. Die Gegenstände waren noch so verpackt, wie ich es in Erinnerung hatte. Mein Kleid-für-alle-Gelegenheiten lag ziemlich weit oben. Ich zog es heraus und sah es mir genau an, erleichtert, dass es in einem viel besseren Zustand war, als ich befürchtet hatte. Es war nur von einem dünnen Schimmelfilm überzogen, roch aber nach Sumpfgas — ein Geruch, irgendwo zwischen verdorbenen Eiern und alten Toilettenschüsseln angesiedelt.
Dietz schnupperte einmal und wandte sich mit angeekeltem Gesicht zu mir um. »Was ist denn das? Gütiger Gott...«
»Das? Das ist mein bestes Kleid«, sagte ich. »Ich brauche es nur in die Waschmaschine zu stecken, und schon ist es wieder wie neu.«
Ich legte es beiseite und wühlte weiter
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