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Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist

Titel: Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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denn es schien mir ungehörig, sie in einem so intimen Augenblick zu beobachten.
    Hinter der offenen Tür lehnte Dietz lässig an der Wand. Seine Haltung war die gleiche wie damals, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Cowboystiefel und Tweedjackett. Im Krankenhaus unten in Brawley. Was fehlte, war die Zahnbürste, die wie ein Füllhalter aus der Brusttasche ragte. Sein unsteter Blick traf sich zufällig mit meinem, wanderte weiter zu Irene, kehrte zurück und hielt meine Augen fest — fragend und verblüfft. Seine selbstbewusste Miene wurde unsicher. Ganz plötzlich stieg prickelnde Hitze in mir auf, und ich brach den Blickkontakt ab, weil ich das Gefühl hatte, feuerrot geworden zu sein. Dann schweifte mein Blick wieder zurück. Er sah mich noch immer an — so wehmütig wie noch niemand bisher.
    Voller Unbehagen warteten wir alle darauf, dass Irenes Tränen versiegten. Endlich ging Dr. Stackhouse zur Tür, und ich folgte ihm. Wir traten hinaus auf den Flur. Auf dem Weg in die Notaufnahme schloss sich Dietz uns an und legte mir dabei die Hand in den Nacken, eine Geste, die mich erschreckte und ein seltsames Gefühl in mir weckte. Sie war so besitzergreifend, und die körperliche Berührung löste eine so starke Spannung aus, dass die Luft zwischen uns vibrierte.
    Dr. Stackhouse schüttelte den Kopf. »Himmel, tut mir das Leid. So ein furchtbares Pech. Sind Sie ihre Enkelin? Jemand wird mit dem Polizeibeamten reden müssen.«
    Ich konzentrierte mich auf die Situation, wie sich ein Ertrinkender an einen Strohhalm klammert. »Ich bin eine Freundin von Mrs. Gersh«, sagte ich. »Kinsey Millhone.«
    Er sah mich an. »Die, nach der sie ständig gefragt hat?«
    »Das hat man mir erzählt«, sagte ich. »Haben Sie eine Ahnung, was sie wollte?«
    »Na ja, ich kann zwar wiederholen, was sie gesagt hat, aber ich glaube nicht, dass Sie viel damit anfangen können. Sie hat immer wieder nur gesagt, dass es Sommer war. >Sagen Sie ihr, es war Sommer...< Ergibt das irgendeinen Sinn?«
    »Für mich nicht«, sagte ich. In ihrer Vorstellung war das offenbar mit der langen, weitschweifigen Geschichte verbunden, die sie mir unten in der Wüste erzählt hatte — über Emily und das Erdbeben, die Harpster-Mädchen und Arthur James. »Und mehr hat sie nicht gesagt?«
    »Ich habe nur das gehört.«
    »Wird sie obduziert?«
    »Wahrscheinlich. Wir haben im Büro des Coroners angerufen, und einer seiner Assistenten ist schon unterwegs. Er wird mit dem Pathologen sprechen und entscheiden, ob eine Autopsie gerechtfertigt ist.«
    »Mit welchem Pathologen? Dr. Yee oder Dr. Palchak?«
    »Dr. Palchak. Natürlich könnte der Coroner uns auch erlauben, den Totenschein auszustellen.«
    »Was ist mit Agnes? Dürfen wir sie sehen?«
    Er nickte. »Selbstverständlich. Sie liegt in einem Raum am Ende dieses Flurs. Sobald Mrs. Gersh so weit ist, bringt eine Schwester Sie hin.«
    Sie hatten Agnes vorläufig in einem selten benutzten Untersuchungszimmer untergebracht. Später würde man sie in den Keller fahren und in der kalten Dunkelheit der Leichenkammer abstellen. Dietz wartete mit Clyde im Flur, während Irene und ich schweigend neben der Rollbahre standen, auf der ihre Mutter lag. Der Tod hatte viele Runzeln in ihrem Gesicht geglättet. Unter dem weißen Laken wirkte sie klein und zerbrechlich, und ihre große Nase stach auffallend zwischen den Falten ihres jetzt friedlichen Gesichts hervor.
    Jemand klopfte diskret an die Tür. Ein junger Polizeibeamter in Uniform kam herein und stellte sich vor. Er hatte Agnes ins Krankenhaus eingeliefert und berichtete Irene kurz von seinem Zusammentreffen mit ihrer Mutter. »Sie schien ein sehr netter Mensch zu sein, Ma’am. Ich hab mir nur gedacht, Sie wüssten vielleicht gern, dass sie mir keine Schwierigkeiten gemacht hat...«
    Irene schossen die Tränen in die Augen. »Danke. Das ist sehr freundlich von Ihnen. Hatte sie Schmerzen? Ich ertrage es nicht, mir vorzustellen, was sie durchgemacht haben muss.«
    »Nein, Ma’am, Schmerzen hatte sie wohl keine. Sie war vielleicht durcheinander, aber Schmerzen schien sie nicht zu haben.«
    »Gott sei Dank! Hat sie nach mir gefragt?«
    Eine leichte Röte stieg ihm in die Wangen. »Das kann ich so nicht sagen. Ich weiß, dass sie jemanden namens Sheila erwähnt hat.«
    »Sheila?«, wiederholte Irene verständnislos.
    »Ich bin ziemlich sicher, dass es der Name war. Sie hat ein bisschen geweint. Hat gesagt, sie bedauert es sehr, dass sie eine solche Plage ist. Ich

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