Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
in dem Karton, holte Werkzeug und auch sonst noch allen möglichen Kram heraus. Ganz unten war das Kinder-Teeservice, und zwar noch immer in der Schachtel, in der ich es unter Agnes Greys Wohnwagen herausgezogen hatte. »Ich sollte es zu Irene bringen«, sagte ich und stellte die Schachtel in Türnähe ab. Es gab nur sehr wenige Dinge, die an Agnes Greys dreiundachtzig Erdenjahre erinnerten, und ich dachte, Irene würde sich vielleicht über die Sachen freuen.
Dietz blickte von seiner Zeitung auf. »Wobei mir einfällt, Dr. Palchak hat heute Morgen um halb acht wegen des Autopsieberichts angerufen. Du sollst zurückrufen, sobald du wach bist.«
»Das ist aber schnell gegangen.«
»Das habe ich auch gesagt. Sie meinte, sie fängt gern um fünf Uhr morgens an, wenn sie einen Auftrag hat.«
Ich wählte die Nummer des St. Terry und ließ mich mit der Pathologie verbinden. Bisher hatte ich zweimal mit Laura Palchak zu tun gehabt. Sie ist klein, unscheinbar, untersetzt, arbeitsbesessen, gründlich und sehr intelligent, eine von mehreren Pathologen, die der Bezirk unter Vertrag hat, und sie führt die Autopsien für das Büro des Coroners durch.
»Palchak«, meldete sie sich.
»Hallo, Laura. Hier ist Kinsey Millhone. Danke, dass Sie so prompt auf meine Nachricht reagiert haben. Was können Sie mir über Agnes Grey sagen?«
Es folgte eine kurze Pause. »Mrs. Gersh wird im Lauf des Vormittags vom Büro des Coroners informiert, es muss also unter uns bleiben, okay?«
»Selbstverständlich.«
»Die Autopsie war negativ. Es wird natürlich Wochen dauern, bis wir die toxischen Befunde haben, aber bisher habe ich nur Nieten gezogen.«
»Und was war nun die Todesursache?«
»Herzstillstand, aber zum Teufel — jeder stirbt letzten Endes an Herz- oder Atemstillstand. Wesentlich ist, dass die Frau keinen organischen Herzfehler hatte und ich auch sonst keine natürlichen Symptome gefunden habe, die zum Tod geführt haben könnten. Technisch müssen wir auf >unbestimm-e Todesursache< erkennen.«
»Was bedeutet >technisch Es gefällt mir nicht, wie Sie das gesagt haben.«
Sie lachte. »Gute Frage. Sie haben Recht. Ich ahne irgendetwas, aber dazu ist noch ein bisschen Forschungsarbeit nötig. Ich habe mit der Krankenhausbibliothekarin gesprochen und sie gebeten, mir einen Artikel herauszusuchen, den ich vor ein paar Jahren gelesen habe. Ich weiß nicht einmal, wieso er mir eingefallen ist, aber etwas an dieser Situation hat mich hellhörig gemacht.«
»Was denn? Können Sie mir Näheres sagen?«
»Noch nicht. Ich habe von meiner Assistentin ein paar Gewebeproben entnehmen lassen, die ich mir wahrscheinlich heute Nachmittag ansehen kann. Außer diesem habe ich nämlich noch sechzehn andere Fälle auf dem Programm. Aber ich bin neugierig.« ,
»Brauchen Sie etwas von mir?«
»Ich hätte einen Vorschlag, falls Sie sich mit der Sache befassen wollen. Mich interessiert sehr, was mit der Frau in den Stunden passiert ist, in denen sie nicht aufzufinden war. Für mich wäre es eine große Hilfe, wenn Sie feststellen könnten, wo sie die ganze Zeit gesteckt hat.«
»Ich kann es ja versuchen«, sagte ich. »Aber es könnte sich als irreführend herausstellen. Soll ich nach etwas ganz Bestimmtem suchen?«
»Sie hat am rechten Handgelenk wunde Stellen, die aussehen, als hätte sie sich an einem Strick aufgescheuert, und eingerissene und abgebrochene Fingernägel an der linken...«
»O ja, die hab ich auch gesehen«, sagte ich, denn ganz plötzlich fiel es mir wieder ein. »Der Knöchel an der rechten Hand ist auch abgeschürft.«
»Stimmt. Es ist möglich, dass sie irgendwo gegen ihren Willen festgehalten wurde. Sehen Sie sich nach einem Geräteschuppen oder einem Gewächshaus um. Ich habe unter ihren Fingernägeln Erde gefunden und ein paar Proben entnommen. Vielleicht finden wir irgendwo die gleiche. Sie hat auch ein paar Abschürfungen und Blutergüsse auf dem Rücken. Erst letzte Woche habe ich ein Kind mit den gleichen Verletzungen auf Oberschenkeln und Hinterbacken auf dem Tisch gehabt. Es war — unter anderem — mit einem Kleiderbügel geschlagen worden.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sie geschlagen wurde?«
»Wahrscheinlich.«
»Weiß Lieutenant Dolan Bescheid?«
»Er und ein Polizeifotograf waren bei der Obduktion dabei, daher hat er dasselbe gesehen wie ich. Es ist aber so, dass ich kein inneres Trauma gefunden habe und die Verletzungen zu geringfügig sind, um als Todesursache in Frage zu kommen.«
»Und
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