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Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache

Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache

Titel: Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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letztes Jahr war die Zahl dann auf sechsundzwanzigtausend gestiegen, und wollen Sie wissen, warum? Wegen der Emanzipation. Früher hatten die Richter immer Mitleid mit Frauen, vor allem mit Müttern von kleinen Kindern. Jetzt werden alle gleichberechtigt verknackt. Herzlichen Dank, Gloria Steinern. Aber es müssen sowieso nur etwa drei Prozent aller verurteilten Straftäter eine Haftstrafe verbüßen. Und noch etwas: Vor fünf Jahren hatte die Hälfte der Mörder, die aus der Haft entlassen wurden, weniger als sechs Jahre abgesessen. Ist das zu fassen? Man bringt jemanden um, und nach sechs Jahren Knast läuft man wieder frei rum. Wenn man die Bewährungsauflagen verletzt, muss man meistens gleich ’ne ganze Runde absitzen, was echt brutal lang ist. Ich brauche nur einmal beim Drogentest durchzufallen, und schon sitze ich wieder im Bus nach Corona.«
    »Eine Runde?«
    »Ein Jahr. Ich sage Ihnen, das System ist echt pervers. Ich meine, was glauben Sie, wozu Bewährung gut sein soll? Dafür, dass man seine Strafe auf der Straße ableistet. Was soll das denn für eine Strafe sein? Sie haben ja keine Ahnung, wie viele üble Typen hier frei rumlaufen.« Sie lächelte. »Na, egal, gehen wir mal zu meiner Bewährungshelferin und bringen es hinter uns.«

5
    Das Amt für Bewährungshilfe war in einem flachen Backsteingebäude untergebracht, das in einem in den Sechzigerjahren populären Stil erbaut war – jede Menge Glas, Aluminium und lange horizontale Linien. Dunkelgrüne Zedern wuchsen unter einem Überhang, der sich über die gesamte Fassade zog. Der Parkplatz war großzügig, und ich fand ohne weiteres eine Lücke. Ich machte den Motor aus. »Soll ich Sie begleiten?«, fragte ich.
    »Können Sie gern«, erwiderte sie. »Wer weiß, wie lange ich warten muss. Leisten Sie mir ruhig Gesellschaft.«
    Wir überquerten den Parkplatz und bogen nach rechts ab, in Richtung Eingang. Als wir durch die Glastür getreten waren, standen wir in einem langen, tristen Flur mit Büros auf beiden Seiten. Anscheinend gab es keinen Empfangstresen, allerdings standen am anderen Ende des Flurs ein paar Klappstühle, auf denen ein paar Männer saßen. Als wir hereinkamen, spähte eine stämmige Frau mit roten Haaren und einem dicken Aktenordner in der Hand zu einer Bürotür heraus und rief einen der Männer zu sich. Ein traurig aussehender Mann Mitte sechzig trat vor. Er trug ein schäbiges Sakko und eine nicht besonders saubere Hose. Typen wie ihn sah ich gelegentlich in Hauseingängen schlafen und halb gerauchte Zigaretten aus den sandgefüllten Aschenbechern in Hotelhallen klauben.
    Die Frau sah zu uns herüber und entdeckte Reba. »Sind Sie Reba?«
    »Ja.«
    »Ich bin Priscilla Holloway. Wir haben telefoniert. Ich habe gleich Zeit für Sie.«
    »Gut.« Reba sah den beiden nach. »Meine Bewährungshelferin.«
    »Das habe ich mir schon gedacht.«
    Priscilla Holloway war Mitte vierzig, hatte markante Gesichtszüge und einen schweren Knochenbau und war braun gebrannt. Ihr kastanienrotes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, der ihr halb den Rücken hinunterhing. Ihre dunkle Hose war vom Sitzen zerknittert. Über der Hose trug sie eine weiße Bluse mit heraushängendem Saum und eine rote Strickjacke mit offenem Reißverschluss, die diskrete Tarnung für die Schusswaffe, die sie in einem Schulterhalfter trug. Sie war athletisch gebaut, und ich vermutete, dass sie schnelle, schweißtreibende Sportarten bevorzugte: Squash, Fußball, Basketball und Tennis. In der Schulzeit hätte mir ein Mädchen von ihrer massigen Statur Todesangst eingejagt, doch damals lernte ich, dass mir, wenn ich mich mit einem solchen Mädchen anfreundete, lebenslanger Schutz auf dem Spielplatz sicher war.
    Reba und ich steckten unseren Claim in einem winzigen Abschnitt des Flurs ab, wo wir uns abwechselnd anlehnten und hinhockten, während wir versuchten, eine bequeme Warteposition zu finden. An der Wand gegenüber hing ein Münztelefon, bei dessen Anblick Reba große Augen bekam. »Haben Sie Kleingeld? Ich muss jemanden anrufen. Ein Ortsgespräch.«
    Ich öffnete meine Tasche und fischte auf ihrem Grund nach einzelnen Münzen. Dann gab ich Reba eine Hand voll Kleingeld und sah zu, wie sie zum Telefon ging und den Hörer abnahm. Sie warf die Münzen ein, wählte eine Nummer und drehte ihren Körper so, dass ich nicht von ihren Lippen ablesen konnte. Das Gespräch dauerte etwa drei Minuten, und als sie schließlich auflegte, sah sie glücklicher und entspannter aus, als

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