Kirchweihmord
dahinfließende Regnitzwasser.
Sie sah ein Bein.
Katinka war sich ganz sicher, dass es ein Bein war, das weiße, fast transparente schmale Etwas, das immer wieder gegen die Holzverschalung der Zeltkonstruktion schabte. Dann sah sie einen Fuß, bloß, ohne Schuh oder Strumpf, mit angeknabberten Zehen. Katinka schluckte. Sie griff in die hintere Tasche ihrer Shorts. Ihr Handy war immer dabei. Sie hatte die Nummer schon gewählt, während das Bein sich löste und ein Stück weiter trieb. Es rumste, als ein ganzer Mensch vom Wasser gegen die Holzpfosten gedrückt wurde.
»Uttenreuther?« Seine Stimme klang müde und trocken.
»Hardo«, krächzte Katinka und dankte dem Himmel für ihre nunmehr guten Kontakte zur Bamberger Kripo. »Ich stehe am Leinritt, gleich beim Festzelt. Da treibt eine Leiche im Wasser. Ein Mädchen.« Sie stockte und betrachtete das in den Wellen wehende, lange dunkle Haar der Toten. »Also, eher eine junge Frau.«
Keine zehn Minuten später stand Uttenreuthers mächtige Gestalt, wie immer in Jeans und kariertem Hemd, neben Katinka und fragte: »Also, was genau haben Sie hier getrieben, Palfy?«
Katinka fühlte sich von der Trutzigkeit seines fränkischen Körperbaus irgendwie getröstet. Trotz des Bierbauches, den Hauptkommissar Harduin Uttenreuther, der sich selbst gern Hardo nannte, vor sich herschob, wirkte er trainiert und bewegte sich unerwartet schnell.
»Ich habe meine morgendliche Joggingtour gemacht, da vorne auf der Bank ein bisschen pausiert und wollte jetzt eigentlich heim.«
»Da haben Sie sie gesehen.«
»Genau. Zuerst nur ein Bein. Einen Fuß. Dann trieb die Leiche«, Katinka schluckte, »ein Stück weiter und ich konnte erkennen, dass es eine Frau ist.«
»Eine, die mal schön war«, sagte Harduin Uttenreuther. Sein kahler Kopf glänzte im Morgenlicht.
Katinka fand seine Offenheit schockierend.
»Jetzt kommen Sie schon, Sie sind Privatdetektivin. Das wird nicht Ihre erste Leiche sein, oder, Palfy?«
Katinka schüttelte den Kopf, während sie die Männer beobachtete, die die junge Frau endgültig aus dem Wasser gefischt hatten und am Ufer ablegten. Tatsächlich war dieses Mädchen nicht ihre erste Leiche. Im Frühjahr hatte ihr erster Fall sie eines Morgens ebenfalls ziemlich unvorbereitet über einen Toten stolpern lassen, im Sekretariat eines Uniprofessors. Sie stöhnte, machte aber alle Angaben, die man von ihr haben wollte.
»Zunächst mal müssen wir klären, ob wir es hier mit einem Unfall zu tun haben«, sagte Uttenreuther, aber seine Stimme kam aus weiter Ferne. Katinka starrte die Absperrungen an, die Schaulustigen, die sich auch zu so früher Stunde schon herbeibewegt hatten, sie hörte, wie in den Häusern hinter ihr die Fenster auf- und zugingen. Ein Arzt schob sich durch den vorbereiteten Zugang an den Tenderbarriers vorbei. Katinka erkannte sein griechisches Profil wieder. Dr. Stanislaus Wenzinger. Sie beide waren sich damals ebenfalls über den Weg gelaufen.
»Wann wissen Sie mehr?«, fragte Katinka müde.
»Ob sie ermordet wurde? Das denken Sie doch, oder?«
Katinka blickte Uttenreuther böse an.
»Ich kann Ihnen eines sagen, Palfy. Sollte diese junge Schönheit ein Mordopfer sein, dann muss ich Sie enttäuschen: Das wird nicht Ihr Fall werden.«
Katinka wurde schlecht. Tatsächlich hatte sich irgendeine Schaltung in ihrem Kopf aktiviert. Einen kurzen Moment hatte sie gedacht, sie könnte einen neuen Fall kriegen. Verdammt, es war ihr Job. Ein beschissener Job. Warum war sie nicht doch Archäologin geblieben und hatte promoviert, wie ihr Exprofessor es ihr vor Jahren angeboten hatte. Sicher verursachte es bessere Gefühle, alte Mauerreste und Speerspitzen auszugraben als Tote. Zumindest als aktuelle Tote. Gegen ein Skelett aus dem 14. Jahrhundert hatte ja keiner was. Es produzierte keine Schuldgefühle, nicht so wie das hier. Katinka hasste plötzlich den Anblick der Polizeifolie, die klaren, unbeteiligten Stimmen der Polizisten, die auch nur ihren Job erledigten.
Jemand sagte: »Wenn die Sandkerwa scho losganga wär, würd ich behaupdn, die had zu viel gsoffn«.
Wieso sollte sie sich schuldig fühlen, weil jemand gestorben war? Auch die Bullen leben vom Tod, raunte die fiese innere Stimme Katinka zu, wie du, wie du, wie du. Katinka verabscheute diese Stimme, die sie umschwirrte wie eine lästige Wespe, die alles kontrollierte, kommentierte und Komplexe hinterließ.
»Ich glaube, wir beide gehen zusammen frühstücken«, schlug Uttenreuther
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