Kirchweihmord
zum Umzug gegeben. Tom, der zwar einen gewissen Beschützerinstinkt besaß, aber auch viel vom Leben um sich nicht mitbekam, weil er permanent die Augen an den Bildschirm klebte und komplizierte Programmierprobleme löste, hatte sich tatsächlich mächtig erschrocken, als er Katinka im Klinikum abholen musste. Dabei war ihr nichts wirklich Schlimmes passiert. Bei der Jagd nach einer Mörderin wurde ihr eine Rippe angebrochen. Die psychopathische Täterin hatte zwar versucht, sie im Fluss zu ertränken – gerade mal ein paar hundert Meter weiter flussabwärts von der Stelle, wo Katinka jetzt saß und die Stadt erwachen spürte. Doch der Einsatz der Bamberger Polizei und nicht zuletzt ihre eigene Hartnäckigkeit hatten das Schlimmste verhindert.
Alles schien zu vibrieren. Katinka nahm die Brille ab und setzte sich dem verschwommenen Anblick der Regnitzwellen, des grasbewachsenen Ufers und der dichtgedrängten Fischerhäuschen gegenüber aus. Sie hasste diese Brille. Nur stand ihr momentan finanziell das Wasser bis Oberkante Unterlippe, an das Fernziel Kontaktlinsen war überhaupt nicht zu denken. Den ganzen August hatte ihre Detektei verwaist in der Hasengasse gelegen. Anstatt im Fluss schwimmen zu gehen, hatte Katinka in der Hitze der winzigen Gasse ausgeharrt, in der Hoffnung auf Klienten. Wenigstens im Juni und Juli hatte sie einige kleinere Aufträge erhalten, aber das Geld war nun so gut wie aufgebraucht. Sie knabberte ihr Erspartes an, um die Miete für die Detektei bezahlen zu können – für zwei wenig repräsentative Räume und ein Etagenklo.
Allein wegen der Kohle war es gut, dass ich umgezogen bin, dachte Katinka nun mürrisch. Wenigstens zahle ich nur noch die Hälfte der Miete. Der Ärger über Toms Abreise nach Prag steckte ihr in den Knochen und flammte regelmäßig einmal pro Stunde auf. Sie brauchte gar keinen Anlaß dafür. Ihre Freundin Britta meinte, sie sei nur enttäuscht, dass sie gerade mal nach zwei Wochen Zusammenleben verlassen würde, wenn auch nur auf Zeit. Tom und sie hatten allerdings zu Beginn ihrer Beziehung ein Abkommen geschlossen, das Katinka oft genug eingeklagt hatte: Der Job ging vor. Katinka wie Tom nahmen sich das Recht, alle Entscheidungen in Bezug auf ihren Beruf allein zu treffen, unabhängig von den Ansichten und Launen des Anderen. ›Klasse‹, seufzte Katinka im Stillen. Sie drängte schnell den nächsten Gedanken weg – wie genervt sie reagierte, wenn Tom ihr die angebliche Gefährlichkeit des Privatdetektivinnendaseins vor Augen hielt. Momentan fehlte ihr einfach das Feeling für Selbstkritik. Dabei war so ein Detektivjob wenig spektakulär. Im Juli musste sie einen Taschendieb aufspüren – in Zusammenarbeit mit einem Kaufhausdetektiv, der der Gerissenheit des Diebs nicht gewachsen war. Und im Monat davor hatte sie eine alte Dame wiedergefunden. Ihre Familie hatte sie schon als vermisst melden wollen, aber Katinka hatte sie nach einem Tag aufgetrieben. Die Dame war lediglich nach einem Spaziergang nicht in ihr Altenheim zurückgekehrt, sondern in ein anderes. Dort war sie gar nicht weiter aufgefallen, bis sie sich abends in das Bett einer Fremden legen wollte.
Die Stadt vibrierte. Katinka setzte die Brille wieder auf. Sie hatte sich wirklich sehr auf die Sandkerwa gefreut. Sie war durstig und verschwitzt. Sie würde heimgehen, nach Hause, was seit zwei Wochen Herzog-Max-Straße Ecke Amalienstraße bedeutete. Immerhin war Toms Wohnung, pardon, ihrer beider Wohnung um einiges kühler als die Wohnung in der Gabelsberger Straße, wo Katinka zuvor gelebt hatte.
Und ich bin Beinert los, murmelte sie in sich hinein, während sie aufstand und nach ein paar halbherzigen Freiübungen weiter in Richtung Festzelt lief, wo sie rechts in die Kasernstraße abbiegen wollte. Mit dem spießigen und überaus neugierigen ehemaligen Nachbarn war sie mehr als einmal aneinander geraten.
Etwas polterte eigenartig im Wasser, das fiel ihr auf, als sie sich schon fast vom Ufer abgewendet hatte. Oder war es ein Schleifen, das an ihren Ohren kratzte und sie bewog, sich umzudrehen? Sie rückte an ihrer Brille. Die Gläser waren innen vom Schweiß verschmiert, sie nahm sie rasch ab und wischte sie an ihrem T-Shirt sauber. Die Verbesserung war nicht berauschend. Wieder das Kratzen. Die Geräusche der Stadt tauchten weg, und Katin-ka ging zügig auf das noch verwaiste Bierzelt und die Uferböschung zu. Mit drei beherzten Schritten stand sie im Gras und starrte in das braune, zügig
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