Kirschroter Sommer (German Edition)
eineinhalb Wochen vergangen. Zunächst hatte er sich an unsere Vereinbarung gehalten und mich tatsächlich in Ruhe gelassen. Doch schon nach ein paar Tagen war wieder alles beim Alten gewesen. Er kreuzte in gewohnter Regelmäßigkeit bei mir auf und »half« mir beim Lernen. So bezeichnete zumindest er es, ich dagegen würde sagen, dass er mich komplett davon abhielt. Dabei konnte ich ihm nicht mal vorwerfen, dass er sich keine Mühe gab – denn das tat er. Er schnappte sich meine Ordner, ging meine Unterlagen durch und stellte mir fachspezifische Fragen, deren Antworten er auch hören wollte. Ob Elyas‘ Interesse echt oder nur geheuchelt war, wusste ich nicht. Aber immerhin steckte hinter seinen Besuchen nicht ausschließlich der Plan, mich schnellstmöglich in die Psychiatrie zu befördern.
Trotzdem war ich jedes Mal erleichtert, sobald ich endlich die Tür hinter ihm schließen konnte. Leider hielt dieses Gefühl nur meistens nicht lange an. Spätestens wenn ich im Bett lag, war er wieder allgegenwärtig. Elyas mochte zwar fort sein, sein Geruch aber blieb. Er hing regelrecht in den Laken und duftete so angenehm, dass er mich nachts vom Einschlafen abhielt oder mir, was noch viel schlimmer war, seltsame Träume von seinem Besitzer bescherte, die von talentierten Händen handelten …
Böse Träume!
Furchtbare Träume!
Albträume!
Verdammtangenehmealbträume …, grummelte ich in mich hinein.
Aber es gab auch etwas Positives zu vermelden. Meinen versäumten Stoff hatte ich trotz Elyas inzwischen weitgehend aufholen können und meine Eltern, mit denen ich mehrere Male in der Woche telefonierte, erholten sich von Tag zu Tag mehr und waren fast wieder komplett hergestellt.
Als ich aus der Dusche stieg und mich in ein Handtuch wickelte, klopfte es an der Wohnungstür. Ich stöhnte auf. Überpünktlichkeit war eine der widerlichsten Eigenschaften, die ein Mensch nur haben konnte. Gerade dann, wenn man wie ich mindestens fünf Minuten länger brauchte als vereinbart.
»Ist offen!«, rief ich Alex zu. Ich hörte, wie sich die Tür öffnete und wieder schloss. »Gib mir noch zehn Minuten!«, setzte ich nach und trocknete mich in Windeseile ab. Zwar wunderte es mich, keine Antwort von ihr zu bekommen, aber wahrscheinlich hatte sie einfach wieder Sebastians Zunge im Mund und konnte deswegen nicht sprechen. Ein sehr positiver Nebeneffekt, wie ich fand.
Ich schlüpfte in meine Unterwäsche und zog darüber eine blaue Jeans sowie ein schwarzes T-Shirt mit dem Marshall Schriftzug an. Danach stellte ich mich kurz vor den Spiegel und kümmerte mich um meine Haare. Weil sich das Gestrüpp als äußerst widerspenstig herausstellte, band ich es kurzerhand nach oben.
Als ich soweit fertig war und mir nur noch Socken fehlten, öffnete ich die Badezimmertür. Mein erster Blick fiel aufs Bett, doch es war leer. Selbst als ich mich weiter im Raum umsah, fehlte von Sebastian und Alex jede Spur. Ich blieb im Türrahmen stehen und runzelte die Stirn. Hatte ich mir das Klopfen nur eingebildet?
»Buh«, machte es plötzlich neben mir. Ich schrie auf, sprang zur Seite und fasste mir ans Herz. »Das ist nicht witzig, Elyas!«
Er lehnte an der Wand zum Badezimmer, seine Lippen formten ein einseitiges Lächeln. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte nur einmal erleben, dass dein Herz höher schlägt, wenn du mich siehst.«
Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. Fing er jetzt auch noch an, süß zu werden? Irrtum – er fing nicht damit an, er war es bereits.
Diese Erkenntnis schüttelte ich aber schnell wieder aus dem Kopf.
»Und wie stellst du dir das vor?«, fragte ich. »Willst du mich das nächste Mal mit einem Elektroschocker begrüßen?«
Er lächelte und enthielt sich einer Antwort.
Ich seufzte. »Ich weiß, ich frage dich das jeden Tag – aber warum genau bist du jetzt wieder hier?«
»Alex und Sebastian schaffen es nicht rechtzeitig, deshalb hole ich dich ab.«
»Immer diese Zufälle …«, stellte ich fest.
»Ja, findest du nicht auch?« Er grinste.
Ich rollte die Augen und lief zum Kleiderschrank, um mir ein Paar Socken zu holen. Wahrscheinlich konnte ich von Glück reden, nur von ihm erschreckt worden zu sein. Es wäre ihm genauso zuzutrauen gewesen, dass er einfach ins Bad platzte. Umso erstaunlicher, dass er es nicht getan hatte.
»Sag mal, wie viel Selbstbeherrschung hat es dich gekostet, vor der Tür stehen zu bleiben?« Ich setzte mich aufs Bett.
»Das kannst du dir nicht annähernd
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