Kishons beste Familiengeschichten.
sondern eine kräftige, wenn auch noch etwas brüchige Stimme, mit der Josepha in den Hörer rief:
»Nein, leider, heute nicht. Ich bin vergeben.« (Sie sagte »vergeben«, wie ein erwachsenes Mädchen.)
»Und morgen?«
»Morgen ging es höchstens bis neun Uhr.«
Wir barsten vor Stolz. Wir hatten dem armen Ding das Leben aufgeschlossen, wir hatten die Seele einer jüdischen Jungfrau gerettet, zumindest die Seele. Glücklich und zufrieden saßen wir zu Hause, und wenn etwas unsere Zufriedenheit störte, dann war es die Tatsache, daß wir zu Hause saßen, weil wir nicht weggehen konnten. Und wir konnten nicht weggehen, weil Josepha nicht frei war. Deshalb mußten wir zu Hause sitzen. Wenn man’s näher bedenkt, war das gar nicht schön von ihr. Es war geradezu niederträchtig. Ein wenig Dankbarkeit hätte man schließlich erwarten dürfen von dieser Person, die noch immer jämmerlich dahinvegetieren würde, wenn wir sie nicht aus ihrer trostlosen Existenz herausgeholt hätten. Aber nein, sie muß sich mit Männern herumtreiben.
Dem war tatsächlich so. Aus glaubwürdigen Berichten, die uns zugespielt wurden, ergab sich eindeutig, daß man Josepha und Naftali auf nächtlichen Spaziergängen beobachtet hatte.
»Eine Schlampe«, stellte die beste Ehefrau von allen mit resigniertem Nicken fest. »Wie ich schon sagte, eine ganz gewöhnliche Schlampe. Wenn irgendein Kerl pfeift, kommt sie gelaufen…«
Natürlich hätten wir die kleine Nymphomanin längst hinausgeworfen, aber das wäre auf den Widerstand unserer Kinder gestoßen, die sich in Josephas Obhut außerordentlich wohl fühlten. So blieb uns nichts übrig, als uns mit Josephas rücksichtslosem: »Leider, heute bin ich nicht frei« zähneknirschend abzufinden.
Eines Nachts, als wir aus dem Kino nach Hause gingen, begegneten wir einem jungen Paar. Mitten in der Nacht, mitten auf der Straße.
»Guten Abend«, sagte Josepha.
Da konnte aber die beste Ehefrau von allen nicht länger an sich halten:
»Ich dachte, Sie müßten sich für Ihre Prüfungen vorbereiten, meine Liebe?«
»Das tut sie ja auch.« Naftali warf sich zu ihrer Verteidigung auf. »Sie war heute als Babysitterin bei uns und hat die ganze Zeit studiert. Ich bringe sie gerade nach Hause.«
Damit verschwanden die beiden im nächtlichen Dunkel, Naftali mit seinen haarigen Beinen und Josepha mit den fingierten Pickeln.
Von jetzt an, das habe ich mir an Ort und Stelle zugeschworen, von jetzt an kommen mir keine solchen Geschöpfe mehr ins Haus. Bei uns werden nur noch schlanke, attraktive Blondinen ohne Komplexe zum Babysitten zugelassen.
Papi als Schwimmlehrer
Mein Sohn Amir steht am Rand des Schwimmbeckens und heult.
»Komm ins Wasser!« rufe ich.
»Ich hab Angst!« ruft er zurück.
Seit einer Stunde versuche ich, den kleinen Rotschopf ins Wasser zu locken, damit ihn Papi im Schwimmen unterweisen kann. Aber er hat Angst. Er heult vor lauter Angst. Auch wenn sein Heulen noch nicht die höchste Lautstärke erreicht hat – bald wird es soweit sein, ich kenne ihn.
Ich kenne ihn und bin ihm nicht böse. Nur allzu gut erinnere ich mich, wie mein eigener Papi versucht hat, mir das Schwimmen beizubringen, und wie ich heulend vor Angst am Rand des Schwimmbeckens stand. Mein Papi ist damals recht unsanft mit mir umgegangen.
Seither haben sich die Methoden der Kindererziehung grundlegend geändert und verfeinert. Nichts liegt mir ferner, als meinem Sohn etwas aufzuzwingen, wozu er keine Lust hat. Er soll den entscheidenden Schritt aus eigenem Antrieb tun. Wie ein junger Adler, der zum erstenmal den elterlichen Horst verläßt und in majestätischem Flug durch die Lüfte zu schweben beginnt. Es braucht nur einen kleinen Stoß, den Rest besorgt dann schon die Natur. Verständnis für die kindliche Seele: darauf kommt es an. Verständnis, Güte und Liebe, sehr viel Liebe.
»Komm her, mein Kleiner«, flöte ich. »Komm her und sieh selbst. Das Wasser reicht dir kaum bis zum Nabel, und Papi wird dich festhalten. Es kann dir nichts geschehen.«
»Ich hab Angst.«
»Alle anderen Kinder sind im Wasser und spielen und schwimmen und lachen. Nur du stehst draußen und weinst. Warum weinst du?«
»Weil ich Angst hab.«
»Bist du denn schwächer oder dümmer als die anderen Kinder?«
»Ja.«
Daß er das so freimütig zugibt, spricht einerseits für seinen Charakter, anderseits nicht. Vor meinem geistigen Auge erscheint ein Schiff auf hoher See, das im Begriffe ist, zu sinken. Die Passagiere
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