Klang des Verbotenen
um einen Blick auf das Unerträgliche zu erhaschen, würde ihn lange verfolgen. Er würde sich selbst dafür verachten und, schlimmer noch, seinen eigenen Handlungen nicht mehr trauen und wieder und wieder versuchen, sich zu erinnern: Was war da in ihm vorgegangen? Neugier? Selbstquälerei?
Das Publikum draußen war wieder zu hören. Die Kehlen vereinigten sich in ein übermenschlich lautes und unmöglich langes Hauchen, als bliese ein monströses Wesen des Delinquenten Lebenslicht endgültig aus.
Nun, so geschah es wohl auch. Die Schreie waren verstummt, die Flammen wieder unter den Fensterausschnitt herabgesunken oder gar ganz erloschen. Es kam Bewegung in den Herrscher auf seinem Thron, er drehte sich zur Seite zu Gemahlin und Verwandten. »Das war’s dann wohl«, sagte er, »unschön wie immer. Gott sei mit uns. Bis zum nächsten Mal.«
Ein Stück bekleidetes Fleisch war zu einem Häufchen Asche geworden, das in den Überresten des Feuers, zwischen verkohlten Holzresten und Stroh, nicht mehr auffindbar war. Man würde das alles zusammenfegen, auf einige Kiepen verteilen und in den Tejo schütten, dann den Holzboden im Innenhof sauber kehren, die Planken abbauen und verstauen – bis zum nächsten Mal, sei es ein Tanzfest, eine Rede, eine Corrida oder ein Autodafé.
Escarlati saß auf der Bettkante, wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte wieder einmal, die Erinnerungen an jenen Tag in Lissabon zu verjagen. »Das ist doch schon so lange her, und er ist tot, und ich kannte ihn nicht einmal, und ich konnte nichts tun, und so ist es nun einmal«, murmelte er.
Entweder der Albtraum oder die nächtlichen Gelage des neuen Herrn – oder sogar beides: Schwer ist es, im Alcázar Ruhe zu finden! Escarlati seufzte, schüttelte den Kopf, legte sich endlich wieder nieder, zog die Decke bis unter das Kinn, denn noch war es nachts empfindlich kalt, und tastete sich vorsichtig zurück in das Reich des Schlafes. »Bitte nicht wieder«, sagte er und legte all seine Überzeugungskraft hinein – aber es klang dennoch resigniert. Doch bald schlief er ein und schnarchte.
16
Gut gelaunt schlenderte Domingo am nächsten Tag die Jesus und seine Macht entlang, stieg die Maria von allen Gnaden hinauf und stieß dann auf die Unbefleckte Jungfrau, eine enge, dunkle Gasse, die er noch nie bemerkt hatte und in die er nun eintrat. Das Tageslicht verschwand kurz hinter den dicht zusammengerückten Fassaden, kam aber bald wieder hervor.
Licht und Finsternis stehen in der Tat in andauerndem Widerstreit. Dem Stand der Himmelskörper entsprechend sortieren sich auch Gedanken und Gefühle jeweils anders, wie das Besteck vor einem Mahl je nachdem, was es gibt: hier silberne Löffel und hübsche Gäbelchen für Süßigkeiten und Likör, orangefarben leuchtend, dort aber schwere Messer und Spieße für das Fleisch.
Die Nachtgespenster waren also verflogen. Der Morgen hatte sich frisch und schön gezeigt. Escarlati hatte gut gefrühstückt – sehr spät allerdings, denn nach und nach näherte er sich dem exzentrischen Tageslauf im Alcázar an, das heißt, er legte sich einen mittleren Rhythmus zu, der sowohl zu freien Tagen wie auch zu Tagen mit höfischen Verpflichtungen einigermaßen passte. Das Wichtigste dabei war: alles lieber zu spät als zu früh!
Nach dem Frühstück hatte er ein paar Stunden am Cembalo verbracht, zunächst das Instrument wieder einmal gestimmt, eine Arbeit, die alle paar Tage zu tun war. Danach hatten seine Finger geübt und sein Kopf komponiert. Eine neue Sonate für die Prinzessin, in der ein bestimmtes technisches Problem bearbeitet werden konnte, nämlich große Sprünge der linken Hand, war fertig geworden. Das bedeutete, Escarlati hatte sie nun im Kopf. Er würde die Sonate einige Male durchspielen, vielleicht einige Ecken glätten oder aber auch, umgekehrt, einige Kanten deutlicher herausarbeiten, je nachdem, was erforderlich war, und sie dann am nächsten Morgen oder auch noch in der Nacht aufschreiben.
Escarlati hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, während seiner freien Zeit – und davon hatte er viel – in der Stadt umherzuschlendern, neue Wege und Ecken zu erkunden, konnte er doch genauso gut beim Gehen komponieren wie anderswo, denn seinen Kopf trug er ja immer mit sich herum, wobei er sich meistens auf Umwegen derjenigen Kneipe näherte, in der er Japón oder Curro – oder beide – antreffen würde.
Die Unbefleckte Jungfrau hatte er also durchschritten und war auf einen Platz
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