Klang des Verbotenen
alles; außer einer schlechten Modulation und einer flachen Melodie natürlich.
Es wurden keine Tänze mehr gebraucht, denn die Gäste wollten nur noch nach Hause oder ins Bett, und so konnte Escarlati frei improvisieren. Sowieso hörte niemand zu, und des Cembalos Glitzern wog nicht schwerer als das Klimpern der Kronleuchter.
Nirgendwo ist man so ungestört wie am Cembalo, wenn alles durcheinanderredet und niemand einen beachtet, wenn das Instrument nur als Möbel dient und die Gläser darauf abgestellt werden.
Einen englischen Marsch könnte man spielen, und keiner würde es merken …
15
Es gab ein furchtbares Geräusch, als habe man die Seiten eines gewaltigen Folianten, jahrhundertelang durch Blut verklebt, mit Gewalt wieder aufgeblättert und in ein verbotenes Kapitel geblickt. Das war des Teufels Buch, mit Goldschnitt aus Feuer, vom Menschen frech aufgeschlagen. Wie immer bei diesem Gesicht, schrie Escarlati im Schlaf.
Doch es ist kein Buch, sondern die Brust eines Menschen. Und der verbotene Text ist dessen Inneres: Dieses aber sollst du nicht sehen.
Das grässliche Lachen der Rippenzähne verschwand hinter Feuer und Rauch.
Wie lange kann ein Mensch auf dem Scheiterhaufen mit aufgebrochenem Oberkörper schreien? Sehr lange – länger, als du denkst, zunächst mit allen Kräften, laut, punktiert durch das Knacken des glühenden Holzes, dann stumm. An den Moment, in dem die Stimme versagt, wirst du dich nicht erinnern können, denn der Schrei klingt fortan für immer in dir nach.
Wenn der Resonanzraum im geplatzten Brustkorb weggebrochen ist, dann bleibt nur noch des Mundes Grimasse, welche die vergehende Seele in Position hält, stärker, als es die Muskeln je vermöchten.
Das ist der besagte letzte stumme Schrei, doch lautlos, wie schon gesagt, ist er in Wirklichkeit mitnichten, o nein, er strahlt nach innen ab, in die jenseitige Welt und verflucht dich, João V., mein alter Dienstherr, König von Portugal, Vater meiner geliebten Schülerin und Mörder, Schwein, Kirchenlakai, Dreckskerl!
Da entstand Bewegung. Die kreischende Figur löste sich vom Hintergrund aus Feuer, eine lebende Ikone, schöner als alle Geschenke des Morgenlandes, nahm ihren Heiligenschein aus Flammen mit, das brennende Haar, stieg, als die Fesseln durchgebrannt waren, vom Scheiterhaufen herab und kam auf Escarlati zu, teilte die Feuersbrunst vor sich wie eine Hecke, näherte sich, und der Träumende wich zurück, lief rückwärts, immer schneller, stolperte über irgendetwas, fiel auf den Hintern, robbte weiter und weiter, von seinen Beinen angetrieben wie ein paddelndes Kind im See, doch die Silhouette kam näher, ragte schon über ihm auf und verlor Funken wie Goldschmuck aus einer gerissenen Kette. Escarlati spürte den Brand und das Zischen, wo ihn das Geschmeide traf, kroch rücklings weiter, wollte so gerne aufspringen und rennen, doch dafür hätte er sich umdrehen müssen, hätte die Gewalt über seine Gliedmaßen wiedererlangen müssen, hätte sein Gesicht von der Fratze abwenden müssen, die über ihm wankte, mit ihren ausgedampften, schwarzen Augenhöhlen und dem Grinsen ihres blanken Gebisses, in der Hitze zu Porzellan ausgehärtet.
Der Boden unter ihm ging nun abwärts, der Hintergrund war schwarz, kein Scheiterhaufen, keine Menschenmenge, kein Palast mehr, nur Nacht der Hölle. Der Tote wuchs über dem Meister in die Höhe wie eine goldene Gewitterwolke und stürzte dann auf ihn herab; sein Gewand aus Flammen und zischendem Fett brach …
Wie immer erwachte Escarlati schweißüberströmt.
Ein Albtraum hat zwei Gegenwarten, die dicht aufeinanderfolgen wie jagende Pferde. Zum einen diejenige des Traumes selbst, der einem Höhepunkt größter Intensität zustrebt, an dem man erwacht, und dann seine Rekapitulation, bei der man ihn mit wachem Geist, aufrecht im Bett sitzend und schweißgebadet, erst jetzt als solchen und somit als unwirklich erkennt, was jedoch die Angst nicht mindert, o keineswegs: Man lebt ihn umso schrecklicher nach, bereits in Furcht davor, er könne in der folgenden Nacht wiederkehren.
Was er auch tut.
Wie so oft hatte Domingo von dem Autodafé geträumt, das er am Hofe König João V. in Lissabon miterlebt hatte. Wie lange war das her? Sieben, acht Jahre. Und die Bilder verblassten nicht; dem inwendigen Heizer, der das Traumbild wieder und wieder entfachte, gingen die Scheite nicht aus. Nacht für Nacht türmte er das Feuer auf und riss Escarlati damit aus dem Schlaf.
Es war Brauch, dass
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