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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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den Fingern. »Mir auch eine Portion! Und ein Glas dazu! Gefüllt!«
    So saß – beziehungsweise stand – man wieder einmal beisammen, und Escarlati kam allmählich auf andere, fröhlichere Gedanken.
    »Erzähl uns von Voxu«, sagte er zu Japón und im selben Moment Curro zu ihm: »Heute gibt es eine Überraschung für dich, Meister Domingo!«
    Japón, der Bescheidene, machte eine Geste, die bedeutete: nach dir. Doch gleichzeitig winkte auch Montoya ab: »Nicht so wichtig. Du wirst schon sehen, Escarlati. Heute Abend bist du dran«, und zu Japón gewandt: »Ja, erzähl uns was!«
    Nun wiederum musste Japón sich zieren. »Meine Geschichten sind doch immer so langweilig«, sagte er, wobei er den eingebildeten Grad der Langeweile durch eine Strecke in der Luft zwischen seinen Zeigefingern darstellte wie einen geangelten Fisch – doch allzu lange, zum Glück, ließ er sich nicht bitten. »Mein Großvater«, begann er, »der …«
    »Gut, erzähl uns von ihm«, sagte Escarlati ungeduldig, den Blick auf die aufgehäuften Bratvögel gerichtet, die im Fett erstarrten.
    Wer wird das essen? Ich könnte Maria Barbaras Katzen zwei, drei davon mitbringen, dachte er.
    Was er dann doch nicht tat.
    »Oder doch von Voxu«, sagte Curro. »Ob es dort auch Heimatlose gibt zum Beispiel.«
    »Heimatlose?«
    »Nun, Gitanos. Solche wie mich.«
    Und mich, dachte Escarlati.
    »Etwas Philosophisches wäre vielleicht angebracht«, überlegte Japón, dessen Hin und Her den beiden allmählich auf die Nerven ging.
    »Das passt mir gut«, sagte Escarlati, »denke ich doch schon den ganzen Tag über den Sinn des Lebens nach. Los!«
    »Ich auch«, seufzte Japón. »Vielleicht liegt’s am Wetter. Bin trübselig.«
    Das Wetter war wie sonst auch. Japaner!
    »Und auch ich lustwandelte heute nicht hierher«, fügte Curro hinzu. »Ich sorgwandelte. Weiß auch nicht, warum.«
    »Was für ein Tag«, murmelte Escarlati.
    »Na gut«, begann Japón endlich. »Ich alter Mann muss euch wieder die Zeit vertreiben. Aber so hat’s Großvater Tanaka auch oft für mich getan. Gerne erzählte er Sagen oder Märchen aus dem geheimnisvollen Land Voxu, dem kalten Königreich, das er mit 18 Jahren verließ – darüber wisst ihr ja Bescheid –, gen Osten, um nach Westen zu kommen, umgekehrt wie Colón.
    Was mag an Großvaters Geschichten Erfindung und was Wahrheit gewesen sein? – Dies konnte ich als kleiner Kerl nicht wissen und weiß es bis heute nicht. Auch sein Vater wiederum, also mein Urgroßvater, soll übrigens ein begabter Märchenerzähler und weiser Mann gewesen sein. Da gibt es kein Ende und keine Quelle …«
    Er klappte die Arme um die Brust, als spüre er das Eis seiner fernen Heimat, und sann sich zurück auf die andere Seite der Weltkugel, die er nie gesehen hatte. Doch eines Tages …
    »Am liebsten«, sagte er dann, »hatte ich die Geschichte von dem Einsiedler, den Bären und den Fischen – obwohl sie für Kinder eigentlich zu ernst ist; doch dies wurde mir erst viel, viel später klar. Wahrscheinlich liebte ich es einfach, mir die kalte, fremde Landschaft vorzustellen, in der die Handlung spielt, während auf dem Tisch die Butter in der Hitze schmolz. Hat jemand von euch schon einmal Eis und Schnee gesehen?«
    »In den Abruzzen einmal«, sagte Escarlati.
    »Nein«, sagte Curro.
    »Ich schon«, fuhr Japón fort, »obwohl ich hier geboren bin. Vor vielen Jahren nämlich war ich auf der Sierra Nevada, im Osten hinter Granada, dort, wo die fliegenden Händler ihre Eisbrocken holen, die sie dann hier verkaufen. – Ach, ist ein gekühlter Weißwein nicht auch etwas Herrliches? Da lohnt es sich doch, …«
    »Ja, ja, ja«, sagten die Zuhörer ungeduldig.
    »… also dort, wo Boabdil seine Burgen hatte. Die Mauern kann man heute noch sehen. So habe ich noch nie gefroren.
    Doch zurück zur Geschichte meines Großvaters. An den nordöstlichen Gestaden des Reiches Voxu also lebte ein Einsiedler. Im Rücken hatte er die schneebedeckten Berge, von denen die Stürme herabbliesen und hinter denen die Sonne verschwand – und vor sich das eisige Ostmeer, in das sich Bäche, Flüsse und Wasserfälle ergossen. Dort, auf einem schmalen Küstenstreifen, lebte der Einsiedler sein kärgliches Leben in einer Hütte aus Holz und Stroh und widmete sich, neben den Mühen zu überleben natürlich, der Betrachtung der Welt.«
    »Mich friert schon«, sagte Montoya.
    »Betrachtung der Welt, ja, so nannte Großvater das«, erinnerte sich Japón und fuhr fort: »Als Kind

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