Klassenziel (German Edition)
Billie mich seit unserem ersten Live-Gig mit ganz anderen Augen – nämlich mit sehr, sehr hungrigen. Ich gebe zu, dass ich dieses Detail damals wohl aus meiner Wahrnehmung ausgeblendet habe.
Die vielleicht größte Hürde bei der Vorbereitung war meine Mutter. Ich musste einen passenden Zeitpunkt abwarten, um ihr zu erklären, dass am Samstagabend rund vierzig Teenager in unserem Garten ein bisschen Spaß haben wollten. Aber so was kann ich ganz gut, und deshalb gab sie nicht nur ihr Okay, sondern fuhr sogar mit mir Getränkekästen und Chips einkaufen.
Dominik hatte sich aus allem rausgehalten, typisch. Als ich vom Einkaufen zurückkam und sah, dass er am Computer Zombies jagte, wurde ich sauer. «Ich brauch dich im Garten – sofort! Wir müssen die Stromkabel verlegen.» Er wollte was sagen, aber ich baute mich vor ihm auf und zischte: «Ich mach das hier auch für dich, du Penner!» Ich glaube, das beeindruckte ihn, wahrscheinlich, weil ich nur ganz selten so energisch wurde. Jedenfalls kam er tatsächlich mit runter in den Garten.
Natürlich hatte ich Nick nicht in meine Pläne eingeweiht. Dann hätte er bestimmt die Flucht ergriffen. Er wusste auch nicht, dass Billie kam. Er ahnte es höchstens. Wenigstens kam er mir ein bisschen nervös vor, als die ersten Gäste eintrafen.
Danach verlor ich Dominik aus den Augen. Ich musste alle begrüßen und mit Getränken versorgen, ich musste Salzstangen nachfüllen und immer wieder den Weg zum Klo beschreiben, und außerdem war da ja noch der Burst-Frenchies-Auftritt, der den Höhepunkt der Party darstellen sollte.
Mittlerweile waren unsere technischen Fähigkeiten ganz annehmbar, und Till hatte wirklich hart an seinem Rhythmus gearbeitet. Wir spielten jetzt mehr eigene als gecoverte Songs. Bei fast jedem hatte ich ein längeres Gitarrensolo. Dann konnte ich an den vorderen Rand unserer improvisierten Bühne treten und alle Blicke auf mich ziehen. Die zustimmenden Pfiffe und der begeisterte Applaus nach jedem Song machten mich total glücklich.
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16
H enning und ich stellen den Tisch in die hinterste Reihe. Mein Platz ist ganz außen am Fenster. Rechts von mir sitzt ein übergewichtiger Junge mit dunkelblonden, kurzgeschorenen Haaren und olivgrünem Strickpullover, der mir aufmunternd zulächelt und sein Mathebuch zu mir rüberschiebt, damit ich mit reingucken kann. Ich muss versuchen, mich gleichzeitig auf den Unterricht zu konzentrieren und mir einen Überblick zu verschaffen, aber das ist schwer, denn die ganze Zeit fühle ich mich wie noch nicht richtig angekommen. Oder als wäre ich in einen Bus gestiegen, von dem ich nicht weiß, wo er hinfährt.
Weil ich ganz hinten sitze, kann ich von den meisten nur den Rücken sehen. Ich habe also nicht mal die Chance, mir während des Unterrichts ein paar Gesichter zu merken. Obwohl mein Mathelehrer sich bei seiner Platzzuweisung mit Sicherheit nichts Böses gedacht hat, macht sie mich wütend. Oder vielleicht auch selbstmitleidig.
D rei Zugaben wurden gefordert, dann mussten wir aufhören – es gab keine weiteren Songs mehr, die wir fehlerfrei spielen konnten, und außerdem wollte ich nicht riskieren, dass die Nachbarn uns wegen Ruhestörung anzeigten. Till schloss seinen Laptop an unsere Verstärkeranlage an und sorgte als selbst ernannter DJ für etwas leisere Musik, und ich mischte mich unter die Gäste.
Es dauerte nicht lange, bis Billie mit zwei von ihren Kammerzofen auf mich zusteuerte. «Das war ja sooo super», schwärmte sie und probierte eine neue Augenaufschlagvariante an mir aus. «Woher kannst du denn so toll Gitarre spielen?»
«Musikschule», erwiderte ich nüchtern.
«Echt? Na, jedenfalls war das ein total geiler Auftritt!»
Sie zog das blaue Haarband aus ihrer perfekt sitzenden Frisur, schüttelte ihre glänzenden Haare, warf sie mit Schwung über die Schulter zurück und knotete das Band wieder rein. Danach sah sie exakt genauso aus wie vorher. Allerdings waren ihre beiden Planeten urplötzlich aus ihrer Umlaufbahn verschwunden, und ich hatte den Verdacht, dass die ganze Aktion so eine Art Geheimsignal gewesen war.
Billie hakte sich bei mir unter und schlenderte mit mir über die Wiese. Für einen Moment kam ich mir vor wie der Hauptdarsteller in einer Teeniekomödie. «Ich hab mir gerade überlegt, ob du nicht … ob ihr nicht auf meinem Geburtstag auftreten könntet», sagte Billie. «Ich werd doch Ende Juni sechzehn, und ich feiere in der Trafo-Station. Und so
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