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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Zimmer
meinem Vater«, sagte Delia. Sie ging an den Schrank im Flur und kam mit einem
Armvoll Bettwäsche wieder. »Am Bett steht immer noch ein Telefon, siehst du?
Aus den Zeiten, als er noch seine Praxis machte. Selbst als er keine Sprechstunde
mehr hatte, konnte er immer noch den Hörer abnehmen, wenn Sam einen Anruf
bekam, und seine Meinung dazutun. Er haßte das Gefühl, nicht mehr alles
mitzubekommen, weißt du?«
    Sie plauderte wahllos, während
sie mit dem Bett beschäftigt war, die Laken glattstrich und die Decken unter
die Matratze schob. Nat schaute ihr kommentarlos zu. Vielleicht hörte er nicht
einmal zu, denn als sie aus Sams Zimmer zurückkam, wo sie einen Schlafanzug
geholt hatte, fand sie ihn, wie er die blauschwarzen Fensterscheiben anstarrte.
»Tatsächlich«, sagte sie und legte den Schlafanzug auf die Kommode, »ich kann
dir gar nicht sagen, wie oft ich, genau wie heute abend, dieses Bett gemacht
habe, während mein Vater dort saß, wo du jetzt sitzt. Er mochte die Bettwäsche
am liebsten frisch von der Wäscheleine, oh, auch noch, als wir schon lange
einen elektrischen Trockner hatten. Und dann saß er in diesem Sessel und — «
    »Es ist eine Zeitreise«, sagte
Nat plötzlich.
    »Ach, ja, ich glaube, das kann
stimmen.«
    Aber es war offensichtlich ein
Selbstgespräch. »Bloß eine verrückte, unausgegorene Idee, rückwärts zu reisen«,
sagte er, als hätte sie nicht geantwortet, »und alles noch einmal zu erleben.
Leider steht Binky am Ende allein mit den Konsequenzen da. Arme Binky!«
    »Binky wird es gutgehen«, sagte
sie bestimmt. »Jetzt aber Schluß. Die Tür rechts geht zum Badezimmer. Neue
Zahnbürsten stehen auf dem Regal über der Wanne. Brauchst du sonst noch etwas?«
    »Nein, danke.«
    »Ein Tablett mit ein bißchen zu
essen vielleicht? Du hast dein Abendessen nicht angerührt.«
    »Nein, danke.«
    »Also, wenn du mich brauchst,
du kannst mich immer rufen«, sagte sie.
    Dann beugte sie sich zu ihm
hinunter und drückte ihren Mund auf seine Stirn, so wie sie es in der
Vergangenheit an vielen Abenden bei ihrem Vater getan hatte.
     
    * * *
     
    Delia ging als nächste zu Bett.
Um halb zehn ging sie nach oben; eigentlich hatte sie schon beim Abendessen
Schwierigkeiten gehabt, die Augen offen zu halten. »Ich bin fix und fertig«,
erklärte sie den anderen. Sie saßen alle immer noch da — selbst Courtney; Paul
war inzwischen von seiner Mutter abgeholt worden. »Es kommt mir vor, als wären
seit heute morgen Urzeiten vergangen«, meinte Delia, und dann stieg sie die
Treppe hinauf in Elizas Zimmer; bis zum Umfallen erschöpft, sie schleppte ihre
Füße wie Zementeimer.
    Einmal im Bett, konnte sie
jedoch nicht einschlafen. Sie lag da und starrte an die Decke, streichelte
träge die zusammengeringelte warme Katze, die sich an ihre Hüfte schmiegte.
Unten stritten Sam und Linda, wie üblich. Ein Mozart-Hornkonzert spielte. Eliza
sagte: »Warum wollte er nicht, ich bitte dich.« Wer wollte nicht?
überlegte Delia. Wollte was nicht?
    Dann war sie wohl
eingeschlafen, doch ihr Schlaf war fahrig und flach, sie schien die ganze Zeit
bei Bewußtsein, und als sie wieder aufwachte, überraschte es sie nicht, daß es
dunkel im Haus war und alle Stimmen still. Sie setzte sich auf, angelte nach
ihrer Armbanduhr, hielt sie in den Lichtschein vom Fenster. Soweit sie
feststellen konnte, war es entweder elf oder fünf vor zwölf. Eher fünf vor
zwölf, beschloß sie, so still wie es war.
    Sie stopfte sich das Kissen in
den Rücken und gähnte. Ihr liefen vor Übermüdung die Tränen. Wieder eine Nacht,
die Wochen dauerte.
    Also: wenn die Hochzeit morgen um
zehn stattfand, konnte sie damit rechnen, daß um elf Uhr Schluß war. Gut, sagen
wir um zwölf, vorsichtshalber. Um halb eins konnte sie am Busbahnhof sein, wenn
Ramsay sie hinbrachte. Oder Sam. Sam hatte es angeboten, immerhin.
    Sie sah sich auf dem Beifahrersitz,
Sam am Steuer. Zwei kleine Püppchen in einem Spielzeugauto. Mannpüppchen und
Fraupüppchen, Seite an Seite. Sahen auf die Straße, sahen sich nicht an; wieso
eigentlich auch, über den Boden der gemeinsamen Tatsachen waren sie längst
hinaus. Keine Hoffnung auf bewundernde Blicke, keine Chance unablässiger
Bewunderung. Nichts mehr vorzuweisen als einfach ihr wirkliches Wesen — aber
eigentlich war das viel reicher.
    Wo war sie stehengeblieben?
Busbahnhof. Den Bus um eins nehmen, in Salisbury um...
    Die Tränen kamen anscheinend
doch nicht vor lauter Übermüdung. Sie wischte sie mit dem

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