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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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sehr
krank«, sagte Delia. »Vielleicht mußte er nur mal abschalten.«
    »Ja«, sagte Nat, »einen Tag mal
abschalten, das können wir alle ab und zu gebrauchen.«
    Etwas stieß gegen die
Hintertür, und dann trat Sam mit zwei Tüten voll Lebensmitteln ein. Aus einer
ragte ein langes Baguette. »Ingwer habe ich bekommen«, sagte er zu Linda, »aber
Schalotten waren gerade ausverkauft.«
    »Macht nichts, dann nehmen wir
grüne Zwiebeln«, beruhigte ihn Linda und übernahm die Tüten. »Geht das, Delia?«
    »Was geht?«
    »Kannst du das chinesische Gericht
auch mit grünen Zwiebeln machen?«
    »Ich nehme sowieso immer grüne
Zwiebeln«, antwortete Delia. »Aber — «
    »Oh, gut. Wir sind dermaßen
viele, weißt du, ich dachte, du könntest... oh, Sam, du kennst Nat noch nicht,
oder? Nat Moffat, das ist Sam Grinstead. Ich hoffe, Sie haben vor, zum Essen zu
bleiben, Nat. Delia bekocht mit Hingabe ganze Armeen chinesisch, glauben Sie
mir.«
    »Liebend gern bleibe ich zum
Essen«, sagte Nat zu Delias Überraschung. Er war während des Vorstellens aufgestanden,
und jetzt hielt er sich an seiner Stuhllehne fest. Sam, der wahrscheinlich
keine Idee hatte, woher Nat plötzlich aufgetaucht war, sah ihn freundlich,
nichtssagend an, als sie sich die Hand gaben.
    »Schön, Sie kennenzulernen«,
sagte er.
    »Danke, gleichfalls«, erwiderte
Nat. Und dann warf er Delia einen verschmitzten Blick zu und fügte hinzu: »Ich
habe soviel von Ihnen gehört.«
    Sam bekam davon natürlich
nichts mit. Er lächelte nur höflich und fragte Linda: »Habe ich noch Zeit für
einen Hausbesuch?«
    »Frag Delia, die ist die
Köchin«, erwiderte Linda.
    Sam drehte sich zu Delia: »Ich
habe Mr. Knowles versprochen, bei ihm reinzuschauen«, sagte er.
    »Du hast massig Zeit«, sagte
sie.
    Sie redeten, ohne sich
anzusehen, wie Schauspieler vor Publikum.
     
    * * *
     
    Niemand brauchte Delia zu
erzählen, welcher Junge tatsächlich bei Courtney angerufen hatte. Daß Paul
Cates es war, hatte sie gleich gewußt — ein naives niedliches Gesicht mit einem
lockigen Rotschopf. Seine Jeans waren ein bißchen zu kurz, seine Turnschuhe zu
kindlich, hatten ein bißchen zu dünne Sohlen; solche karierten Wolljacken
trugen Jungen in der Grundschule. Er folgte Driscoll, der auf Susie zuging; die
saß auf einem Hocker und schnitt Wasserkastanien in Scheiben für Delias
Chinagericht. Hinterdrein kam Courtney; auch das noch! Sie stellte sich dicht
hinter Driscoll und Paul, vergrub die Hände in ihren Blazertaschen und musterte
Susie mit unverhohlener Neugier. Susie, die, als die anderen eintraten, wieder
an ihren Platz gegangen war, hatte nur Augen für Driscoll.
    »Susie«, sagte Driscoll, »das
ist Paul Cates.« Dann zu Paul Cates gewandt, sagte er: »Paul, ich möchte mich
entschuldigen. Als du hier neulich abends aus Versehen anriefst, habe ich so
getan, als wäre Courtneys Familie dran, aber das war gar nicht wahr,
überüberhaupt gar nicht wahr.«
    Paul strahlte. »Schon gut«,
sagte er.
    In aller Form wandte sich
Driscoll jetzt an Susie: »Wirst du mich jetzt heiraten?« fragte er.
    Susie sagte: »Kann sein.«
    Ein Zwilling sagte:
»Angeberin!«, und der andere sagte: »Los, küß ihn! Küß ihn, Susie!«
    Susie pflanzte einen
windschiefen Kuß auf Driscolls Mund. Zu Paul sagte sie: »Nett von dir, daß du
soviel Verständnis hast.«
    »Oh, ich bin überhaupt nicht
böse deswegen!« sagte er und warf Courtney einen langbewimperten leuchtenden
Blick zu. Courtney musterte ihn kühl und sah dann wieder zu Susie.
    »Und Courtney, nett, daß du
mitgekommen bist«, bedankte sich Susie bei ihr.
    »Keine Ursache. Im Frühjahr
habe ich deinen Bruder Carroll auf einer Party kennengelernt.«
    »Wirklich?«
    »Meine Freundin hat ihn zu
ihrer Geburtstagsparty eingeladen; als dein Verlobter deinen Namen nannte, ist
mir das wieder eingefallen.«
    Paul sah nicht mehr ganz so
glücklich aus; deshalb unterbrach Delia das Gespräch und fragte: »Könnt ihr
beiden zum Abendessen bleiben? Es gibt etwas Chinesisches, das kann ich bis ins
Unendliche strecken.«
    »Also, ich könnte«, sagte
Courtney.
    Paul sagte: »Ich muß nur meine
Mutter anrufen.«
    »Da drüben«, sagte Delia, hielt
ihn schützend am Ellenbogen und führte ihn zum Telefon. Wie grausam und völlig
verwirrend — beinah kannibalisch — mußten Mädchen den Jungen vorkommen! Das war
ihr nie aufgefallen, als sie selbst ein junges Mädchen war.
    »Ich möchte einen Toast
aussprechen«, sagte Nat. Er hob seinen

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