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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moitzi
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»Lauter geht’s nicht, Schatzilein?«, rief Frau Helene auf ihrer Trittleiter, ohne sich auch nur im Mindesten um die Besucher zu kümmern.
    »Frau Helene!«, empörte sich Johnny milde. »Sie werden schon noch mit ihm plaudern können! Wir sollten an die Besucher denken, wenn’s Ihnen nichts ausmacht!«
    »Ach so ist das!«, schnauzte Frau Helene. »Die sind also wichtiger als ich!« Eingeschnappt drehte sie den Kopf weg und fummelte am Kristalltropfen herum, der vor ihrer Nase baumelte.
    »Wir sehen uns später, Frau Helene«, sagte ich mit leiser Stimme, als wir weitergingen.
    »Ja, davon kannst du ausgehen, Schatzilein«, trällerte Frau Helene.
    Nach der Führung wurde ich im Erdgeschoß Frau Karner vorgestellt. Die anderen Schlossguides nannten sie »Die Stinkerin«, wie ich später erfuhr. Frau Karner war als Putzfrau für die Treppenhäuser und Korridore der Schlossbewohner zuständig. Ihre halblangen, grauen Haare waren so fettig, dass man damit Schmalzbrote hätte schmieren können, vorausgesetzt, man verfügte über einen abgehärteten Magen. Die vorsintflutliche Mantelschürze mit dem grau gewaschenen Blumenmuster wies Fettflecken auf, wo ihr Haar den Kragen berührte. Als sie ihren Mund öffnete, um mich zu begrüßen, dachte ich, ich könnte die Mahlzeiten der letzten Wochen erraten – sie baumelten noch von den Oberzähnen. Eine moosig verschimmelte Kruste bedeckte sie. Wenn sie Lust auf einen Imbiss hatte, brauchte sie nur über ihre Zähne lecken.
    Ich grüßte sie und wahrte dabei einen gesunden Abstand, den mein Hausverstand und ein tief verwurzeltes Gefühl der Selbsterhaltung forderten. Sie nickte und zeigte mir dann ein Plakat, das an einer der Türen hing. Es handelte sich um Werbung für eine Ausstellung über das pestverseuchte Mittelalter. Frau Karner las mir die Schlagzeile vor: »Seuchen – Schmutz – und … Pestilenz.« Sie sah mich an und wiederholte begeistert: »Pestilenz! Des is’ guat!« Sie sagte das wirklich so freudig und lustvoll, dass es mir eine Sekunde lang kalt den Rücken hinunterlief.

Weitere ungewöhnliche Kollegen
     
    Meine vier fix angestellten Kollegen, alle weit in den Fünfzigern, sollten eigentlich auch Touristengruppen durchs Schloss führen. Aber sie tranken lieber und ließen uns Studenten die gesamte Arbeit erledigen. Als pragmatisierte Beamte konnten sie ohnehin nicht gekündigt werden, außer sie erwürgten jemanden oder verursachten in volltrunkenem Zustand einen Unfall.
    Da war Frau Matterer, eine Frau mit zusammengepressten, harten, schmalen Lippen, die ihre erste Dose Lagerbier aufzischte, sobald sie am Morgen in die Arbeit kam. Da war die stilvolle Frau Hermstett, die so gerne zur Oberschicht gehört hätte und daher lieber Wein schlürfte. Da war der lustige Hugo mit dem ergrauten Schnurrbart und den zwinkernden Augen. Er soff alles, solange es alkoholisch und in industriellen Mengen vorrätig war. Zwischen zwei Gläsern sah er den vorbeimarschierenden jungen Frauen mit unverhohlener Lust nach. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, zu rauchen, ohne den Aschenbecher zu verwenden; er hielt die Zigaretten aufrecht zwischen den Fingern, damit die Asche nicht auf den Boden fiel.
    Die drei, Frau Matterer, Frau Hermstett und Hugo, taten so, als ob sie uns Studenten überwachten. Eine dermaßen anstrengende Aufgabe, dass die drei naturgemäß die meiste Zeit halb betrunken sein mussten. Sie wachten nur aus ihrer Alkoholbenommenheit auf, wenn eine externe Besuchergruppe kam. Offiziell hatten die Gruppen, die wir begleiteten, absolute Priorität. Andere Gruppen durften nur in die Schauräume rein, wenn der Zeitplan es erlaubte. In Wirklichkeit hatten diese externen Gruppen allerdings unbeschränkten Zugang zu den kaiserlichen Gemächern, gerade weil unsere Kollegen ihren Einlass beaufsichtigten. Jedes Mal gab’s dann natürlich ein nettes Bestechungssümmchen unter der Hand. Einmal ließ ich eine Gruppe von außerhalb rein, weil ich Frau Matterer nicht finden konnte, die gerade aufs Klo gehuscht war, um ein paar der seit dem Morgen getrunkenen Liter Lagerbier wieder rauszupissen. Als sie zurückkam und erfuhr, was ich getan hatte, bekam sie fast einen Nervenzusammenbruch und zeterte eine ganze Woche lang.
    Der letzte im Kreis der Sonderlinge war Herr Granic. Seine Aufgabe bestand darin, am Ausgang der Schauräume sicherzustellen, dass keine Touristen hereinkamen. Ich sah Herrn Granic kein einziges Mal nüchtern. Meistens war er so betrunken, dass er vom

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