Kleine Portionen
natürlich Bach oder Vivaldi lieber gewesen, aber sogar er sah zufrieden aus, dass F. R. David uns sein »Words« vorsang.
Wir setzten uns und bestellten Weißweinspritzer. Unser Gespräch drehte sich um unseren Pragaufenthalt. Plötzlich wurden wir vom Mädchen, das hinter uns sa ß , unterbrochen. »Entschuldigt«, sagte sie auf Deutsch, »kommt ihr aus Österreich?«
Wir bejahten und baten sie an unseren Tisch. Sie nahm gerne an. Sie warte auf ihre Freundin, sagte sie, und langweile sich. Ihr Deutsch hatte einen leichten Akzent, war aber ansonsten tadellos. Sie hatte kurze Haare und ein gewinnendes Lächeln. »Habt ihr schon was Tschechisches gekostet?«, fragte sie.
Wir erzählten ihr von unserem Kaffeeerlebnis.
»Wir haben ein typisch tschechisches Getränk: Becherovka«, meinte sie. »Es wird in Karlovy Vary gemacht, der Stadt, die bei euch Karlsbad heißt. Darf ich euch einladen?«
Warum nicht, wir waren aufgeschlossen. Sie bestellte die Getränke und schien wirklich stolz.
Der Becherovka entpuppte sich als ein Magenbitter aus Anis, Zimt und Kräutern. Er wurde nicht in den kleinen Schnapsgläsern serviert, die man normalerweise für Spirituosen verwendet, sondern in normalen, bis zum Rand gefüllten Saftgläsern. Ein erster Schluck, und ich musste zugeben, dass das Getränk sehr stark war.
Das Mädchen entpuppte sich als außerordentlich lieb, gesprächig und lustig. Sie erzählte uns Geschichten über Prag, über die kommunistische Zeit, wie es für Schwule und Lesben in der Tschechoslowakei ausgesehen hatte, vor und nach dem Sturz des Regimes. In meinem Hirn blieb genau nichts hängen. Ich erinnere mich nicht einmal mehr an den Namen des Mädchens. Denn ich stürzte mein Glas Becherovka achtlos in kürzester Zeit hinunter und trank dann nicht nur meinen Weißweinspritzer aus, sondern auch den von Mikki.
Es war schon zwei Uhr morgens, als wir schließlich in Richtung Rons und Havels Wohnung aufbrachen. Die Freundin des Mädchens war nie aufgetaucht. In der Straße verabschiedeten wir uns lautstark. Wir waren alle drei gefühlsduselig.
In der Straßenbahn sprachen Mikki und ich nur wenig. Ich schaute aus dem Fenster, wahrscheinlich einigermaßen betrunken, gefühlsmäßig aber gar nicht so sehr. Als wir jedoch aus der Straßenbahn ausstiegen, merkte ich, dass ich kaum stehen konnte. Mikki musste mich halb tragen, halb ziehen. Er sah besorgt aus. »Du bist so weiß wie eine Aspirintablette!«, sagte er.
»I’ glaub’, mir wird gleich gaaanz schlecht«, murmelte ich.
Mikki schaffte es, mich zurück in die Wohnung zu bringen. Ich stolperte über die Schwelle, stürzte aufs Klo und übergab mich. Ich verbrachte den Rest der Nacht im Klo, saß auf dem kalten Fliesenboden und umarmte die Kloschüssel.
Mit dem Hund im Zug
Die Zugfahrt ist anstrengend. Daran ist nur der Hund Schuld. Mehr oder weniger. Nina stresst in öffentlichen Verkehrsmitteln. Und Stress, selbst wenn ein Hund ihn ausstrahlt, ist eins der wenigen Dinge, die mich stressen. Nina wimmert und keucht und zittert und jault vor sich hin. Nach einer Stunde oder so geht einem das ganz schön auf die Nerven. Die Leute im Zug starren uns an. Naja, nicht unbedingt uns, weil Nina unter den Sitzen hockt, so dass die Leute nicht genau wissen, wo die kläglichen Geräusche herkommen. Mir ist das ohnehin egal. Ist es mir immer. Die Leute dürfen gerne starren, bis ihnen die Augen herausfallen, das berührt mich überhaupt nicht. Aber natürlich berührt es Seb. Er stresst wegen des Hundes und wegen der Leute, die starren; ich stresse, weil Seb so gestresst ist; und der Hund stresst ganz von alleine.
Ich finde immer noch Zeit und Muße, die wunderschöne Landschaft zu beobachten, die draußen vorbei zieht. Die Champagne ist ziemlich eben, manchmal leicht gewellt, dünn besiedelt. Alles, was ich vom Zug aus sehe, sind Felder und Wiesen und kleine, grüne Wälder. Ich kann mir leider keine Notizen machen, daher konzentriere ich mich zwischen zwei Hundjammerern auf ein kurzes Gedicht. Ich versuche, einen Haiku zusammenzustellen, schreibe ihn in Gedanken und ordne und feile und bürste die Zeilen, zähle Silben und tätschele Ninas Kopf. Die sanften Hügel, die grünen, braunen und bunten Felder, der leicht bewölkte Himmel mit den wenigen hellblauen Flecken inspirieren mich. Ein fast durchsichtiger, weißer Schleier hängt hoch oben, darunter hüten ein paar flauschige Hirtenwolken das weite Land; graue und schwarze Wolkenkathedralen bauen sich am
Weitere Kostenlose Bücher