Kleine Portionen
Sessel, den ihm eine freundlich gesinnte Seele unter den Hintern geschoben hatte, nicht mehr hochkam. Einmal besuchte eine Gruppe von Nonnen das Schloss. Als sie an Herrn Granic vorbeigingen, wurde der alte Mann ganz aufgeregt. »Klosterfrau Melissengeist!«, krähte er lauthals. Das ist ein traditioneller Magenbitter aus natürlichen Kräutern, der in einem Frauenkloster hergestellt wird. Die Nonnen lächelten milde über den Witz. Aber Herr Granic beließ es nicht dabei. »«Klosterfrau Melissengeist«, wiederholte er, »vorne juckt’s und hinten beißt’s!«
Kaffee in Prag
Mikki und ich waren auf der Suche nach einem Kaffeehaus. Wir waren eine gute Stunde lang durch die Altstadt gelaufen. Nun kann ein echter Österreicher nicht viel weiter gehen, ohne den Koffeingehalt in seinem Körper anzuheben. Wir fanden ein Kaffeehaus in der Nähe des alten Hauptplatzes und setzten uns hinein. Die Dekoration war nüchtern, ungefähr Jugendstil, in weiß und schwarz und warmbraun gehalten. Die Sessel sahen sogar wie echte Thonet-Sessel aus, was uns sofort aufmunterte. Wir fühlten uns wie zu Hause.
Als wir unseren Kaffee bestellen wollten, beugte sich der fünfzigjährige, amerikanische Tischnachbar zu uns herüber. »Sorry, dass ich Sie störe, aber Sie sollten besser Tee oder eine Cola bestellen. In diesem Land können sie keinen guten Kaffee zubereiten!«, meinte er verschwörerisch in seinem breiten Südstaatenakzent.
Mikki und ich starrten den Mann entgeistert an. Mit seinem karierten Flanellhemd, dem Halstuch, den Jeans, Cowboystiefeln, dichten, weißen Haaren, der unnatürlichen Bräune und dem hervorstehenden Bauch sah er wie der durchschnittliche, texanische Ölmagnat aus. Nur der Stetson fehlte. Wir dankten ihm mit reservierter Höflichkeit und Eleganz und natürlich einem steifen, britischen Akzent, der unterstreichen sollte, wie anders wir waren.
Dann blickten wir einander an. Ich konnte Mikkis Gedanken klar von seinem Schmollmund ablesen: »Bring du uns Kaffeekultur bei, du unverschämter US-Banause!« Wir kannten die schrecklichen Geschichten über die schwachen Flüssigkeiten, die man in den USA Kaffee zu nennen wagte. Und der österreichisch Jahrhundertwendeschriftsteller Karl Kraus hatte bereits darüber geätzt, dass man Kaffee nur in Ländern trinken sollte, wo das Getränk auf der zweiten Silbe betont wurde. Was de facto englischsprachige Länder und Deutschland ausschloss. Wir blieben dieser traditionellen Kaffeearroganz treu und gingen naiv davon aus, dass unser Mister Texas keine Ahnung davon hatte, wie ein wirklich guter Kaffee schmecken musste.
Mehr denn je gelüstete es uns also nach Kaffee. Nicht zuletzt, um unsere Solidarität mit der österreichisch-tschechischen Kultur zu demonstrieren und uns vom Ami-Spießer abzugrenzen. Mikki machte »Pf!« und murmelte: »Tee, Cola – echt!«
Der Amerikaner schnaubte, als er unsere Bestellung hörte, und meinte leise: »Kommen Sie aber nachher nicht daher und beschweren sich – ich habe Sie gewarnt!«
Der Kellner brachte zwei dampfende Tassen. Der Kaffee roch stark und vollmundig. Man sah nur einen Zentimeter vom Löffel, bevor er in der tiefschwarzen Flüssigkeit verschwand. Das einzige, was fehlte, war die kleine Kanne Milch oder Obers, die normalerweise in Österreich serviert wurde. Das war aber schon okay so. Wir zuckerten und rührten um. Oh ja, dieser Kaffee sah dicht und dickflüssig aus, der würde sogar Tote aufwecken.
Wir plauderten genüsslich und warteten, dass unsere Getränke abkühlten. Dann nippten wir. Und spuckten den Schluck Kaffee fast wieder aus. Erstens war er gesüßt serviert worden und dadurch viel zu zuckrig. Zweitens konnten die meisten tschechischen Kaffeehäuser sich noch keinen qualitativ hochwertigen Importkaffee leisten und brauchten den Rest ihres fiesen Sowjetvorrats auf. Vor allem aber: Kaffee ist für Tschechen ein traditioneller, türkischer Kaffee. Der Kaffeesatz ist in der Tasse. Diesen Kaffe darf man niemals umrühren.
Zu viel Becherovka
Schließlich fanden wir die Bar, von der Havel uns erzählt hatte. Sie war nur halb voll, die meisten Tische waren leer. Sie sah auch gar nicht wie eine Bar aus, sondern eher wie ein gemütliches, unaufdringliches Kaffeehaus. Weiße Wände mit kleinen, gerahmten Fotos. Dunkelrote Vorhänge. Hellbraune Holztische, Holzsessel. Auch die Musik war angenehm unaufdringlich. Weder Techno noch House wummerten aus der Stereoanlage, sondern nette 80er-Hits. Mikki wäre
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