Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
aufreibend gewesen war, musste er doch selbst entscheiden. Das alles hatte ihn leicht nervös gemacht. Nun gab er sich ganz der Musik hin.
Julia entschuldigte sich bei Armin, obwohl sie gar nichts gesagt hatte. Sie sprang vom Sofa und kletterte auf seinen Schoß. Sie küsste ihn so leidenschaftlich, wie es die Anwesenheit Rex Palmers gerade noch zuließ.
Damit war wieder alles im Lot. Julias Gedanken schweiften ab zu Friedanger. Sie wusste nicht, was sie ihn morgen fragen sollte. Sie besaß auch keinerlei Vorstellung, wie seine Werft gerettet werden konnte. Nur eines wusste sie ganz genau: Großmann & Sichel sollten büßen für das, was sie ihr angetan hatten. Es musste richtig teuer werden. Sie wollte sich rächen. Ihre ganze Natur schrie nach Rache. Sie hörte nicht auf ihren Verstand, der ihr sagte, der Aufwand sei viel zu hoch und die Gefahr stehe in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ergebnis. Aber Julia war gedemütigt worden. Und das konnte sie nicht verzeihen.
Rex drückte sich weit in die weiche Lehne des Sofas hinein. Julia kniete neben ihm und stützte ihre Hände auf die Knie. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und dachte mit geschlossenen Augen nach. Rex sah ihr Gesicht nur schräg von hinten. So bemerkte er ihre zu einem Strich zusammengekniffenen Lippen nicht und deutete ihre Haltung als Entspannung.
Rex erinnerte sich, wie sie vor fünfundzwanzig Jahren auf seinen Knien gesessen und seinen Geschichten gelauscht hatte.
Julias Vater war promovierter Ingenieur bei einer Elektrofirma gewesen. In dem Werk von vielleicht zweitausend Beschäftigten war Rudolf Wenckhausen einer der Wenigen, die den zweiten akademischen Grad besaßen. Er lebte mit seiner Familie in einer werkseigenen Villa, kaum hundert Meter vom Betrieb entfernt. Sein Steckenpferd war der Amateurfunk. In seine Sender und Empfänger war er regelrecht verliebt, denn er hatte sie selbst entworfen und auch selbst gebaut. Wenn die Familie schlief, saß er vor seinen Geräten auf dem Dachboden und tauschte mit anderen Funkamateuren im Lande und in Übersee Grüße aus. Manchmal, wenn er die Tür nicht richtig geschlossen hatte, war im Schlafzimmer das Klappern der Morsetaste gerade noch zu ahnen gewesen.
Margarethe Wenckhausen stand dem Haushalt vor, das heißt, sie dirigierte das Personal, ansonsten las sie Romane und philosophische Schriften. Sie verwandelte Villa Wenckhausen in eine Stätte geistiger und kultureller Begegnung, indem sie Damen und Herren jener Gesellschaft einlud, von der sie meinte, sie sei der richtige Umgang für die Familie.
Als ihre Tochter Julia geboren wurde, überwachte sie deren Erziehung ausschließlich, wenigstens solange das Kind noch in den Windeln steckte. Für die grobe Arbeit war selbstverständlich ein Kindermädchen zuständig gewesen.
Rudolf Wenckhausen hätte lieber einen Sohn gehabt. Also ließ er seiner Frau freie Hand bei Julias Erziehung. Nach deren Vorstellung sollte das Kind später einem Haushalt vorstehen, der ihrem eigenen in nichts nachstand. Sie sollte Empfänge geben, Künstler und Wissenschaftler um sich scharen und das Personal beaufsichtigen, so wie das im Hause Wenckhausen und in allen guten Häusern üblich war oder ihrer Meinung nach üblich sein sollte.
Im Alter von acht Jahren war Julia blond und rundlich. Sie hatte trotz ihres Kindermädchens, das immer hinter ihr her war, ständig schwarze Fingernägel, weil sie am liebsten im Park hinter der Villa herumtobte und alles in die Hände nahm, was nicht rechtzeitig flüchten konnte Regenwürmer zum Beispiel. Ihre Mutter bekam regelmäßig Migräne, wenn Julia verdreckt und mit aufgeschlagenen Knien nach Hause kam. Wäre Julia ein träges Kind gewesen, so hätten ihr Temperament und ihr Äußeres wenigstens zusammengepasst, aber dieses pausbäckige Mädchen war quirlig. Und das passte absolut nicht in diesen Haushalt, in dem es stets ruhig, sauber und vor allem gesittet zuging. Julias Vater ging in seinem Beruf auf, und ihre Mutter wollte >die guten alten Zeiten< bewahren. Villa Wenckhausen wurde geführt, als hätte es die letzten fünfzig Jahre nicht gegeben.
Mit dreizehn Jahren fasste Julia gar nichts mehr an, stand stundenlang vor dem Spiegel, kämmte und schminkte sich und drehte sich hin und her. Täglich maß sie ihren Brustumfang und trug ihn mit Datum und Uhrzeit in ihr Tagebuch ein. Ihr Vater kommentierte das schmunzelnd als den Beginn einer wissenschaftlichen Karriere.
Doch dann begann Julia, sich für Vaters
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