Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
fragte er sie, ob sie jemanden wegen sexueller Belästigung anzeigen wolle. Das wollte sie natürlich nicht. Daraufhin schickte er sie wieder an ihre Arbeit. Aber es änderte sich nichts. Zwei Wochen später stand sie wieder vor ihm. Und nun löste er das Problem, indem er sie den Reinigungskräften zuteilte. Damit würde das Begrapschen aufhören, denn dort seien nur Frauen, ältere Frauen, beschäftigt. Sie sollte jeden Tag die Papierkörbe leeren und alles schreddern. Das sei eine verantwortungsvolle Tätigkeit, denn das Material dürfe nicht in unbefugte Hände gelangen.
Julia fühlte sich verhöhnt und nicht ernst genommen. Sie schwor Rache. Ein paar Tage lang dachte sie darüber nach, was sie unternehmen sollte. Dann fielen ihr die Kriminalgeschichten ein, die Rex Palmer ihr zum Knobeln aufgegeben hatte. Die intelligenten Spione darin hatten es ihr schon lange angetan. Nun stand ihr Plan fest.
Heimlich nahm Julia die brisanten Zeichnungen aus den Papierkörben der Forschungsabteilung an sich und schaffte sie beiseite. Dann ging sie zu einer kleinen Firma und bot ihr das Material an. Dort lachte man über das sechzehnjährige Mädchen und versprach ihr großzügig zwanzigtausend Mark, falls ihre Zettel wirklich etwas wert seien. Sie wollte das schriftlich haben, was ihr anstandslos gewährt wurde, weil niemand sie ernst nahm. Aber die Ingenieure, die der Firmenchef zur Begutachtung rief, bestätigten den Wert der Blätter. Julia erhielt nun tatsächlich ihre zwanzigtausend Mark. Sie widerstand der Versuchung, das viele Geld mit vollen Händen auszugeben.
Niemand bemerkte etwas. Nur Rex ahnte etwas, denn Julia benahm sich seit einiger Zeit sonderbar. Sie lächelte abwesend vor sich hin und sah geringschätzig auf Leute herab, die ewig sparen mussten, um sich eine teure Anschaffung dann endlich leisten zu können. Aber Rex forschte nicht nach, schob den Verdacht weit von sich, er wollte gar keine Gewissheit haben.
Seine Kriminalgeschichten waren wohl doch nicht das richtige für das Mädchen gewesen. Sie hatte einen seiner Spionagefälle unerschrocken kopiert. Vielleicht konnte sie auch nur die drohende Gefahr nicht erkennen. Aber sie war immerhin so klug gewesen, von den Zeichnungen alles abzuschneiden, was auf deren Ursprung hindeutete. Doch auch das das wusste Rex Palmer nicht.
Noch war nichts verdorben; sie war ja gerade erst sechzehn Jahre alt geworden. Doch seither hatte Rex nie wieder etwas von Spionagefällen erzählt. Dieser abrupte Sinneswandel hatte Julia zu denken gegeben – und das sollte er wohl auch.
Aber Rex Palmer hatte sich verrechnet. Die kleine Firma, der Julia die Zeichnungen verkauft hatte, besuchte damals gerade ein Geschäftsmann aus den USA. Er nannte sich Yorck. Mehr gab er nicht preis. Dieser Mann erkannte Julias Talent sofort. Nach dem Tode ihrer Eltern nahm er sie mit nach Amerika, angeblich, um ihr Englisch zu verbessern. Rex glaubte ihm. Nach zwei Jahren kam Julia zurück. Sie sprach Englisch fast wie ihre Muttersprache. Und sie war eine perfekte Kundschafterin geworden. Selbstverständlich besaß sie den Highschool-Abschluss, den Führerschein und ein Zeugnis als Dokumentalistin. Mit Brille und straff zurückgekämmten Haaren fiel sie zwischen verstaubten Folianten überhaupt nicht auf. Doch als sie den Schauspieler Feuerdorn sah und sich sofort in ihn verliebte, wechselte sie ihre Tarnung. Über Nacht verpuppte sich das graue Mäuschen, und am nächsten Morgen schlüpfte aus dem Kokon eine zauberhafte Schönheit, der Ramon Feuerdorn sofort verfiel.
Die Lautsprecher schwiegen. Armin schlug die Augen auf, beugte sich vor und ergriff sein Glas. Julia setzte sich ordentlich an den Tisch. Ihr Gatte bemerkte ihr Bemühen, aber es war in seinen Augen ein untauglicher Versuch, sich in einem Hemdchen mit Spaghettiträgern und einem viel zu kurzen Jeansrock um eine ordentliche Haltung zu bemühen. Er sah in ihr eine Frau, der noch immer bedeutend mehr als der letzte Schliff fehlte. Rex dagegen sah sie als sein Kind. Sie war verheiratet; trotzdem fühlte er sich für sie verantwortlich. Das umso mehr, seit von ihren Eltern jede Nachricht fehlte.
Das Nocturno war zu Ende. Armin straffte sich, atmete einmal tief durch und legte den Kopf in den Nacken. Vom langen Sitzen über den Akten schmerzten ihm immer öfter die Schultern. Am liebsten hätte er seine Arme gereckt und herzhaft gegähnt, aber was wäre das für ein Vorbild für seine Frau gewesen. Er presste die Lippen aufeinander
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