Kleine Suenden zum Dessert
Klemmbrett aus dem Auto und zog ihre Unterlagen zu Rate. »Es werden heute Vormittag drei Paare zur Besichtigung kommen«, verkündete sie dann. »Das erste erwarte ich schon in zehn Minuten, und Sie sollten ...«
Er sah sie schweigend an.
»Haben Sie nicht vielleicht ein paar Besorgungen zu machen ...?«
Er sah sie immer noch schweigend an.
»Wenn Sie nichts vorhaben, können Sie ja einfach ein bisschen herumfahren«, sagte sie sanft.
Er hob trotzig das Kinn. »Ich brauche nicht ziellos durch die Gegend zu fahren. Mrs Carr von gegenüber zum Beispiel kann es gar nicht erwarten, mich bei sich zu begrüßen.«
Seltsamerweise klang das Letzte sarkastisch - oder bildete sie sich das nur ein? Grace folgte mit den Augen seinem ausgestreckten Arm. Das Haus, auf das er zeigte, wirkte wie aus einem Märchen. Offenbar hatte man im Lauf der Zeit immer wieder Türmchen und Erker und allen möglichen Schnickschnack angebaut, sodass ein heilloses Durcheinander entstanden war. Über der rosa gestrichenen Haustür hing ein altes Schild mit der Aufschrift Pension.
Ein Jammer, dass ich das nicht statt Franks braunem Monstrum verkaufen soll, dachte Grace. Sie verkauften in der Regel keine Häuser außerhalb von Dublin. Bei Franks hatten sie nur eine Ausnahme gemacht, weil er mit der Frau eines der Firmeninhaber verwandt war - angeheiratetermaßen, wie sie betont hatte.
Frank schaute missmutig über die Straße. »Sehen Sie sich diesen Grasstreifen vor dem Haus an!« Grace tat es. »Was gibt es daran zu bemängeln?«
»Gar nichts. Das ist es ja. Ich musste ihn heute früh mit meinem Rasenmäher mähen! Sie war nicht bereit dazu. Das ist sie nie. Aber ich wollte nicht, dass die Leute, die sich mein Haus ansehen kommen, denken, dass das hier ein Glasscherbenviertel ist, wo sich keiner darum kümmert, wie es aussieht.«
»Nun ja, die Leute schauen sich natürlich auch das Umfeld an«, gab Grace ihm Recht und tätschelte seinen Arm. Sie hatte im Lauf der Zeit begriffen, dass es in ihrem Job nicht nur darum ging, Häuser zu verkaufen. Je nach Situation musste sie moralische Unterstützung liefern, als Partnerberaterin fungieren, bei Streitigkeiten mit der Gemeinde intervenieren und manchmal auch nur aufmuntern. Laien war nicht klar, wie vielschichtig sich die Arbeit in der Immobilienbranche gestaltete. Sie dachten, es gehe dabei lediglich darum, Interessenten gegeneinander auszuspielen und dem Käufer dann das Fell über die Ohren zu ziehen.
»Bei aller Menschlichkeit dürfen wir nicht das Ziel aus den Augen verlieren, Grace«, hatte ein junger Hupfer aus dem Hauptbüro sie letzten Monat bei einer Schulung ermahnt. »Verkaufen, verkaufen, verkaufen!«
Offenbar nahm sie sich zu viel Zeit für die Kunden. Sammelte unnötige Details über ein Objekt, wie zum Beispiel die Tatsache, dass es einmal einem Cousin zweiten Grades von Paul McCartney gehört hatte. Ermutigte Klienten unerwünschterweise, nach dem Verkauf ihrer Häuser Kontakt mit der Agentur zu halten. Und dergleichen mehr.
»Das alles war vielleicht schön und gut, als Sie vor zehn Jahren als Trainee anfingen, Grace.« Aus seinem Mund klang es, als sei es hundert Jahre her. »Aber angesichts des harten Wettbewerbs können wir uns diesen Dienst am Kunden nicht mehr erlauben.«
Sie hatte ihn über den Tisch hinweg angesehen und ihm mit all der Erfahrung und Reife ihrer vierunddreißig Jahre erklärt, dass es hier um Häuser ging, die für die Menschen, die sie nun verkauften, ihr Heim gewesen waren, in dem sie gelacht und geweint und gestritten und gelebt hatten und, in einigen Fällen, auch gestorben waren (obwohl sie diesen Punkt, wie sie ihm versicherte, für gewöhnlich unerwähnt ließe). Aus einem Haus auszuziehen, sei für einige Leute, als würde einem das Herz aus der Brust gerissen. Er könne doch sicher verstehen, dass ihre Aufgabe sich nicht darauf beschränke, das Geld der Kunden zu kassieren, sondern auch ein gewisses Maß an Beistand beinhalte.
»Natürlich, natürlich«, hatte er gesagt und genickt und gelächelt und sie dann informiert, dass in Zukunft die Zeit für Kundengespräche und Besichtigungstermine stark gestrafft werde.
In Erinnerung daran ermutigte Grace Frank aus reinem Trotz mit einem Lächeln: »Fahren Sie fort.«
»Na ja - am Ende sagte sie, ich dürfe den Streifen mähen, aber ich solle mich ja von den Gartenzwergen fern halten.« Grace bemerkte die Gartenzwerge erst jetzt. Es waren drei, alle mit einem breiten Grinsen im Gesicht und
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