Kleiner Werwolf - Funke, C: Kleiner Werwolf
sein.«
»Feige?«, rief Lina. »Du warst noch nie feige.«
Motte zuckte die Achseln. »Na, ist ja auch egal. Heute Nacht wird der Wolf verjagt. Auch, wenn er manchmal wirklich ein guter Freund war.«
[zurück]
Vollmond
Die Nacht kam schnell.
Motte hatte den ganzen Tag das Amulett getragen, aber trotzdem regte sich der Wolf, sobald es dunkel wurde.
Lina und er spielten Karten in ihrem Versteck, als die Dämmerung kam. Lina zündete ein paar Kerzen an, und als sie sich umdrehte, hielt Motte die Karten nicht mehr in der Hand, sondern in der Pfote. Sein Fell war noch dichter und länger als in der vergangenen Nacht, und er spürte dieselbe Unruhe, die Lust, weit und schnell zu laufen.
Die Lust zu jagen.
Er schlug die Krallen in ein Stück Schokolade und schob es sich zwischen die Zähne. Es schmeckte scheußlich.
Lina guckte aus dem Dachfenster. »Der Mond ist da«, sagte sie.
»Ich weiß«, brummte Motte. »Ich spür ihn. Brauch gar nicht hinzusehen.« Unruhig rutschte er auf dem Sofa herum.
»Sollen wir weiterspielen?«, fragte Lina.
Motte schüttelte den Kopf. Er warf die Karten auf den Tisch und sprang auf. Rastlos begann er, auf und ab zu gehen. Auf und ab.
»Es hilft nicht, was?«, fragte Lina besorgt. »Das Amulett, mein ich.«
Motte zuckte die Schultern. »Wer weiß, wie ich mich ohne das Ding fühlen würde.«
»Na ja, du gehst wenigstens noch nicht auf allen vieren«, sagte Lina. Sie wollte lachen, aber das Lachen blieb ihr im Hals stecken. Motte sah einfach zu unglücklich aus.
»Ich muss kurz zum Abendbrot runter«, sagte sie. »Aber danach schleich ich mich gleich wieder hoch. Okay?«
Motte nickte nur.
Lina kroch in den Schrank und Motte hörte, wie sie die Tür abschloss. Er sah sich um. Nein, hier kam er wirklich nicht raus. Bis zum Dach stapelten sich schwere Kisten, Möbel und Bretter voller Nägel. Motte senkte den zottigen Kopf und ging weiter auf und ab. Auf und ab. Immer schneller, bis er rannte. Er sprang am Schrank hoch, schlitzte mit den Krallen die Kartons auf und beschnüffelte den Inhalt. Das Amulett auf seiner Brust wurde wärmer, aber auch der Wolf in ihm wurde wilder und wilder.
Wo blieb Lina bloß?
Motte schlug die Kerzen mit der Pfote aus. Dann schob er eine Kiste unters Dachfenster, stieß das Fenster auf und atmete gierig die kalte Nachtluft ein. Als er eine Pfote hinausstreckte, wurde sie silbern vom Mondlicht.
Das Amulett wurde heiß. Sehr heiß. Es verbrannte ihm das Fell. Motte riss es sich vom Hals und warf es auf den Teppich. Dann zog er sich durch das Dachfenster ins Freie und sprang geschmeidig auf den Dachfirst.
Über ihm waren nur noch der Mond und die Sterne. Motte setzte sich breitbeinig auf den First, legte den Kopf in den Nacken und heulte. Er heulte, bis die kalte Luft ihn heiser werden ließ. Dann zog er den Pullover aus, warf ihn vom Dach und guckte fasziniert zu, wie er in die Tiefe schwebte. Dorthin, wo winzige Autos wie Leuchtkäfer durch die Dunkelheit krochen. Plötzlich hörte Motte ein Geräusch hinter sich. Ein vertrauter Geruch zog ihm in die Nase.
»Motte! Komm sofort da runter!«
Lina war zurück. Ihr Kopf ragte aus dem Dachfenster. Entsetzt sah sie ihn an.
»Ich hab dich heulen hören«, sagte sie. »Und dann hab ich das hier gefunden.« Sie hielt das Amulett hoch.
Motte bleckte die Zähne. »Es hat mir das Fell verbrannt«, knurrte er – und spitzte die Ohren. Zwei Vögel flogen über ihn hinweg. Hungrig reckte er den Kopf und leckte sich die Lippen.
»Und was jetzt?«, rief Lina. »Willst du da oben sitzen bleiben, bis dir eine Taube ins Maul fliegt? Oder bis die Feuerwehr dich runterholt? Die Dinkelbier steht schon im Treppenhaus und lauscht.«
Motte duckte sich zusammen und starrte Lina sehr lange mit seinen gelben Augen an.
»Ich häng dir jetzt das Amulett wieder um«, sagte Lina entschlossen. »Und wenn ich dabei vom Dach falle und mir den Hals breche, dann bist du schuld.«
Langsam schob sie sich aus dem Fenster, setzte einen Fuß aufs Dach und zog sich am Dachfirst hoch. Das Band mit dem Amulett baumelte um ihr Handgelenk.
Motte knurrte. Er fletschte die Zähne und wich zitternd vor ihr zurück. Wie ein Hund auf allen vieren. Oder wie ein Wolf. Der First, auf dem er hockte, war kaum so breit wie seine Pfote.
Lina schwang ein Bein über den First, bis sie rittlings auf dem Dach saß. Sie vermied es, nach unten zu sehen. Verzweifelt drückte sie die Beine gegen die kalten Dachziegel.
»Ich hab keine Angst vor dir«,
Weitere Kostenlose Bücher