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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Zerschlagenheit lähmt mich.
    Die schwere lange Kälteperiode geht jetzt allmählich zu Ende. Schneereste liegen noch immer, aber * Eva arbeitet im Garten.
    Um meine Arbeit steht es trostlos. Ich schrieb letzte Woche ein paar Seiten * Dubos. Dann bekam ich aus Berlin die Monographie von * Lombard, 1 ackerte sie durch u. muß nun alles umarbeiten. Nicht diese Einzelheit deprimiert mich, sondern die Unbefriedigung u. Hilflosigkeit dem Ganzen gegenüber. Ich werde diesen Band nicht mehr zustandebringen. Und es drängt sich mir immer mehr auf, daß meine früheren Bände, die wohl mein Lebenswerk ausmachen, im Wesentlichen doch nur Journalismus sind. Ich gehe sozusagen mit der Frage nach Zweck u. Wert meines Lebens schlafen u. stehe damit auf. Und dann mache ich Hausarbeit u. Kästchen für die Katzen.
    * Weißberger , 2 der Chemiker, der ein Stipendium in Oxford hat, besuchte uns. * Sein Vater liegt hier mit Schlaganfall. Er behauptete, er könne mir eine Turn-'-Einladung 3 nach Oxford verschaffen.
    Seit etwa 14 Tagen lese ich vor: * Cronin Der Tyrann. 4 Einiges darin (das Eisenbahnunglück auf der Taybrücke 1880) ist gut; das Ganze bedrückend u. abstoßend.
    Fast unser einziger Verkehr: * * Wieghardts. G. s kindischer Bolschewismus geht mir auf die Nerven. – Sonst große Einsamkeit.
    Politisch hoffnungslos, finanziell ebenso.
     

 
    23. März Sonnabend .
    Das * Dubos- * Muralt = Capitel fertig, 10 Schreibseiten in etwa einem Monat.
    Die Finanzen so schlecht, daß [ich] ein paar gesamelte Fünfmarkstücke besonderer Prägung hergeben muß, als allerletzte Reserve, um den ersten April zu erreichen.
    * Hartnacke, 1 Unterrichtsminister, übel genug, aber doch ein gebildeter Mann, mehr rechts als Nazi, wurde entlassen. * Mutschmann ist sein eigener Kultusminister u. ein wilder * Nazi = Volksschullehrer 2 sein Commissar. Wieviele Wochen bin ich noch im Amt? – * Hitler hat die allgemeine Wehrpflicht proklamiert, das Ausland protestiert lendenlahm u. schluckt das fait accompli. Ergebnis: Hitlers Regiment ist stabiler als je. Was hilft es, daß man sagt, die Reichswehr regiere. In allen Punkten der Kulturvernichtung, Judenhetze, inneren Tyrannei regiert H. mit immer schlimmeren Creaturen. Der Reichskultusminister Rust hielt heute wieder eine Erziehungsrede gegen den faden Intellektualismus.
    – Ich kann mich schlecht von der Grippe erholen, meinem Herzen fällt alles schwer. –
    * Cronin: []Der Tyrann zu Ende gelesen: sehr bedrücklich u. doch als Ganzes sehr gut. Die letzten Worte des Doctor Benwick, der die entgleiste Mary heiratet, er halte an seinem Willen fest, u. was er liebe, wolle er haben, ebenso die absonderliche Kraftgestalt des verkomenden Helden: beides bestätigt noch heute, was * Muralt als englische Grundzüge anführt.
    Jetzt begonnen: * Ann Bridge Picknick in Peking 3 Sehr feiner Humor. (Wer definiert diesen englischen Humor?)
    Montag ein sehr ermüdender Abend bei * * Köhlers. (Ihr dritter Hochzeitstag). Amüsant nur eine alte englische Tante der jungen Köhlerin, die nach vielen Jahrzehnten deutscher Ehe das Deutsche noch mit völligstem Englandaccent spricht, an England hängt u. von dem gegenwärtigen Regime nichts nichts wissen will.
     

 
    3 April, Mittwoch Abend .
    Ziemlich weitgehendes taedium, wenn nicht vitae so doch scribendi. 4 Es schleppt sich alles gleichmäßig bei gleichen zermürbenden Sorgen hin – ein Ende oder auch nur eine Änderung ist nicht abzusehen.
    Wozu die einzelnen Besuche notieren, die wir * * Blumenfelds u. * * Wieghardts u. * * Köhlers, oder diese uns machen? Man redet imer dasselbe. Einmal war, von Wien kommend, * Maria Lazar dabei, sonderlich Neues brachte auch sie nicht. Heute als unser Kaffeegast der * Kaplan Dr. Baum bei uns, der im Winter mein franz. Kolleg gehört hat. (Blumenfeld hatte sich dazu gefunden). B. ist vollkomen pessimistisch. Die Kirche vermeide Streit, solange sie könne, das sei ihr alles nicht so wichtig, sie meine, das gehe vorüber, u. sie bleibe – wozu sich da Unannehmlichkeiten aussetzen? Ein alter Pfarrer habe ihm neulich gesagt, in einer Versamlung sei ein so komisches Lied gesungen worden, das er noch nie gehört habe, etwas von * Horst Wessel 1 – was u. wer sei das eigentlich? In einer Geistlichenversamlung habe der Vorsitzende ruhig erklärt, der gegenwärtige Zustand sei nicht so wichtig – wir haben das dritte Reich erlebt u. werden das vierte erleben. Freilich gehe diese Regierung neuerdings sehr scharf gegen die kathol

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