Klemperer, Viktor
mein[em] 18 ième zu schreiben, heute wo ich kein Kolleg zu lesen brauche, weil ich durch die Post meine Entlassungsurkunde erhielt.
2 Mai Donnerstag
Auf Montag war ich insofern gespannt, als es sich da zeigen mußte, ob Studierende aus dem P. I. zu mir kamen, das am 24/4 begonnen hatte. Es kam niemand. Übermäßig tragisch brauchte ich das deßhalb nicht zu nehmen, weil von den 200 neuen P. I.-Studenten auch bei * Janentzky nichts zu spüren sein soll. Man hat ihnen offenbar gesagt: das Institut wird von der Hochschule losgelöst, verliert also erst nicht Eure Zeit mit den dortigen Collegien. Ich las also vor meinem Leipziger u. vor Sußi * Susi Hildebrandt, der mit dem Hasen u. der * Petrarca-Vorlesung. 2 Es erschien auch * Lore Isakowitz u bat mich um Bücher – sie will sich jetzt ein Diplom am orientalischen Seminar in Berlin holen –, die ich für Dienstag versprach. Am Di. Morgen, ohne alle vorherige Ankündigung – mit der Post zugestellt B zwei Blätter: a) []Ich habe auf Grund von § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums .. ... Ihre Entlassung vorgeschlagen. Entlassungsurkunde anbei. b) Im Der kommissarische Leiter des Ministeriums für Volksbildung. b) Im Namen des Reiches die Urkunde selber, unterzeichnet mit einer Kinderhandschrift: * Martin Mutschmann. Ich telephonierte die Hochschule an; dort hatte man keine Ahnung. * Göpfert, der Kommissar gibt sich nicht damit ab, das Rectorat um Rat zu fragen.
Erst war mir abwechselnd ein bißchen betäubt u. leicht romantisch zu Mut; jetzt ist nur die Bitterkeit u. Trostlosigkeit fühlbar.
Meine Lage wird eine überschwere. Bis Ende Juli soll ich noch das Gehalt bekommen, die 800 M., mit denen ich mich so quäle, u. danach eine Pension, die etwa 400 betragen wird.
Ich ging am Dienstag Nachm. zu * Blumenfeld, der inzwischen den Ruf nach Lima endgiltig erhalten hat, u. ließ mir die Adressen der Hilfsstellen geben. Mittwoch, am Festtag der nationalen Arbeit, in den es hineinschneite, correspondierte ich stundenlang. Drei gleichlautende Briefe an die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland, Zürich, an den []Academic Assistance Council, London, an das Emergency Committee in aid of German Scholars New York City. Dazu Hilferufe (SOS schrieb ich) an * Dember in Istanbul u an Voßler: Spitzer geht von Konstantinopel nach U.S.A. (aber er soll hat sich zu * * Dembers wenig freundlich über mich geäußert). Überall betonte ich, daß ich auch Deutsche Literatur, auch vergleichende Literatur lesen könne (Mein Lektorat in Neapel, 1 meine Vertretung * Walzels 2 bei den Prüfungen usw.), daß ich in französischer u. italienischer Sprache sogleich (!), in spanischer Sprache in Kurzem (!!) vortragen könnte, daß ich das Englische lese u. in ein paar Monaten nötigenfalls auch sprechen würde.
Aber was hilft all diese Geschäftigkeit? Einmal ist die Aussicht auf einen Posten ganz gering, da ja der deutsche Run seit reichlichen zwei Jahren im Gang u. unbeliebt ist. Sodann u. vor allem: welchen Posten könnte ich annehmen? * Eva, die in der letzten Zeit wieder viel leidend war – erneute Zahnbehandlung, Wurzelentzündung, allgemeiner Nervenstreik, wäre ihrer Erklärung nach u. auch faktisch in jeder Pension oder möblierter oder Stadtwohnung eine Gefangene; sie braucht Haus u. Garten. Und sie würde das Haus hier um keinen Preis dauernd aufgeben. Es könnte also nur ein besonders gut dotierter Posten sein, den ich anzunehmen vermöchte. Die Chance ist nicht größer als die aufs große Loos, wenn man Lotterie spielt.
Nun schrieb ich noch, sehr schweren Herzens, an * Georg, der mir im vorigen Jahr Hilfe anbot, u. der jetzt wahrscheinlich in England bei seinem * Ältesten ist. Ich gratulierte ihm B zum 70. Geburtstag u. fragte ihn gleichzeitig, ob er mir auf mein Haus eine zweite Hypothek von 6 000 M. geben wolle, unkündbar bis 1. I 42; zur Sicherung würde ich ihm den entsprechenden Anteil meiner dann fälligen Lebensversicherung verpfänden. Ich glaube bestimmt, er wird ablehnen u. ich werde um eine neue Kränkung reicher sein. Aber selbst wenn er acceptiert – wie weit ist mir geholfen? Ich würde dann * Praetorius auszahlen u. ich würde meine Lebensversicherung soweit aufbessern, teils durch Schuldenrückzahlung, teils durch Vorauszahlung, daß sie für etwa 2 Jahre in einer Höhe von etwa 12 000 M. sicher gestellt wäre, und daß sie bei späterer Unmöglichkeit des Weiterzahlens immerhin noch 6–7 000 M. Wert
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