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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Kinder u. Tiere .. Aber Deutsche. Thieme schwärmte von dem starken Sozialismus der Nazis, zeigte mir ihren Aufruf zu Betriebsratswahlen im Sachsenwerk. Einen Tag darauf waren diese Wahlen vom Kommissar * Killinger verboten.
    Eigentlich ist es furchtbar leichtsinnig, dies alles in mein Tagebuch zu schreiben.
     

 
    20. III Montag Abend gegen 12 .
    Nach langer Zeit im Kino: * Hindenburg 1 vor Truppen u. Hakenkreuzlern am 12. III, dem Sonntag der Kriegsgefallenen. Als ich ihn vor etwa einem Jahr gefilmt sah, ging der Praesident etwas steif, die Hand auf dem Handgelenk des Begleiters, aber ganz fest u. nicht langsam die Reichstagtreppe hinab, ein alter aber kraftvoller Mann. Heute: die winzigen mühsamen Schritte eines Gelähmten. Nun ist mir alles klar: so ging * Vater 2 nach seinem Schlaganfall Weihnachten 1911, bis er am 12. II 12 starb. In der Zwischenzeit war er nicht mehr klar. (Die umgedrehte Zeitung, in der er las!) Es ist mir jetzt absolut gewiß, daß H. nur noch eine Marionette ist, daß ihm schon am 30/I die Hand geführt wurde. –
    Jede einzelne Regierungsanordnung, Nachricht usw. ist immer noch beschämender als die vorangehende. In Dresden ein Büreau zur Bekämpfung des Bolschewismus. Discretion zugesichert, Belohnung richtiger Angaben. – In Breslau Verbot für jüdische Anwälte auf dem Gericht zu erscheinen. – In München plumpeste Vorschie Vortäuschung eines versuchten Attentates u. daran geknüpft Drohung des größten Pogroms, falls ein Schuß falle. Usw. usw. Und die Zeitungen winseln. Die Dresdener N. N. macht der Regierung Complimente. * Hitler als Staatsmann sei immer für Friedensrevision eingetreten. –
    * Goebbel als Reklameminister. Morgen der Staatsakt des 21. März! 3 Ob man einen Kaiser kreieren wird? Der Platz der Republik heißt wieder Königsplatz, u. für die Ebertstr. in Berlin hat man den neuen Namen offen gelassen. – Ich halte es für ganz unwesentlich, ob Deutschland Monarchie oder Republik sei – aber daß es aus den jetzigen Händen seiner neuen Regierung gerettet werde, kann ich gar nicht erwarten. Ich glaube übrigens, daß es die Schmach, ihr anheimgefallen zu sein, niemals abwaschen kann. Ich für meinen Teil werde niemals wieder Vertrauen zu Deutschland haben. –
    Wir sahen im Capitol heute Menschen im Hôtel. Erschütternd wie der Roman * Vicky Baums 4 ist auch der Film. Und durchweg großartig gedreht u. ergreifend gespielt. Auch sehr natürlich gesprochen. (Nicht nur einzelne opernhafte Sätze – Gespräch!) * John Barrymore 5 zu alt für Gaigern; aber er transponiert seine Rolle um. * Lyonel Barrymore 6 als Kringelein durchaus tragisch u. tragikomisch. Die * Garbo 7 als russische Tänzerin zugleich hysterisch u. menschlich. * Joan Crawford 8 als Flämchen ausgezeichnet zwischen Cynismus, Bitterkeit u. Menschlichkeit. Nur * Wallace Beery 9 als Preysing allzu unsympathisch brutal. Vollkomen natürlich der untergelegte (synchronisierte) deutsche Text.
    Der Abend brachte außerdem (s. o.) den 12 März u. – bei gutem Vortrag sehr hübsche Karavanenbilder aus der Mandschurei. Ich bin so sehr gern im Kino; es entrückt mich. Aber * Eva ist so schwer zum Besuch zu bewegen. Und wenn es ihr dann nicht zusagt u. sie elend dort sitzt, habe ich doch keinen Genuß. Diesmal ging es leidlich ab, trotzdem sie viel an Nerven = u. Muskelschmerzen leidet. –
     

 
    21. III
    Tag des Staatsaktes in Potsdam. Schade daß wir kein Radio haben. – Fürchterlichste Pogrom-Drohungen im Freiheitskampf 1 nebst gräßlichen, mittelalterlichen Judenbeschimpfungen. – Abgesetzte jüdische Richter. – Einsetzung einer Komission zur Nationalisierung der Universität Leipzig. – Im April sollte hier ein Psychologencongreß tagen. Freiheitskampf: Was ist aus * Wilhelm Wundts Wissenschaft 2 geworden? Welche Verjudung! Aufräumen! Daraufhin, um Belästigungen zu vermeiden, Absage des Congresses.
    Bei alledem schleicht mein Frankreichbild zeilenweise. Ich fing am 11/III mit Schreiben an; es sind heute noch keine volle sieben Seiten.
    Müdigkeit u. Stumpfheit. Lebensüberdruß u. Todesfurcht.
     

 
    22. III
    * * Blumenfelds Dienstmädchen , die brave dümmliche Wendin * Käthe, kündigte. Es sei ihr eine sichere Stelle angeboten worden, u. der Herr Professor werde doch wohl bald nicht mehr in der Lage sein, sich ein Mädchen zu halten. – * Frl. Wiechmann 3 bei uns. Sie erzählt, wie in ihrer Meißener Schule alles vor dem Hakenkreuz kriecht, um seine Stellung zittert, sich

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