Klingenfieber: Roman (German Edition)
Bessere von ihnen beiden gewesen war.
Neeva schlug dermaßen hart zu, dass Erenis ihr Schwert kaum noch halten konnte.
Und wieder. Und wieder.
Erenis spürte ihre Finger ganz taub werden. Ihre Handgelenke ächzen. Ihr Schwertarm schien schreien zu wollen.
Und wieder. Wieder.
Dann, bei einem halbrund geführten Trümmerhieb, zerbrach Erenis’ Schwert zu rot flirrenden Splittern.
Es war, als würde die Höhle einstürzen. Aber in all dem Bersten von Bedeutsamem begriff Erenis, dass es wahrscheinlich Neeva gewesen war, die auch Hekteis Schwert im Kampf zerbrochen hatte. Um ihr etwas beizubringen. Oder ihre Schwäche zu demonstrieren. Vielleicht konnte nur Neeva so etwas überhaupt schaffen. Aber jetzt hatte Erenis gar keine Zeit, erschrocken zu sein oder einen Verlust zu empfinden. Denn Neeva drang weiterhin auf sie ein. Erenis zückte einfach das zweite Blutstabenschwert und erschreckte dadurch wiederum Neeva, die kurz innehielt, um etwas zu verarbeiten, das es noch niemals zuvor gegeben hatte: eine Klingentänzerin mit zwei Blutstabengedichten. Und während der Kampf weiter wogte, vermied Erenis es nun, ihre Klinge nochmals so hart treffen zu lassen. Sie lernte dazu. Unaufhörlich.
Deswegen geriet sie nicht in Furcht. In Schweiß, durchaus. In Bedrängung, auch. Aber nicht in Furcht.
Denn schon nach den ersten hundert Schlägen begriff sie, dass Neeva in all den Jahren nichts dazugelernt hatte. Sie war immer noch Ugon Fahus’ Schule in ihrer reinsten Form. Perfektioniert bis in die letzte Hautfalte. Aber es war nichts hinzugekommen. Erenis kannte diese Manöver, erinnerte sich an die Vorstöße, und auch an die Methoden, mit denen man sie abwehren und auf sich selbst zurückwerfen konnte. Die reine Kraft Neevas war neu und ungewohnt. Aber die Ideen waren Tradition.
Erenis dagegen hatte das Land durchstreift und gelernt. Von einem toten Zimmermann aus Entlengs, Ilehu Wiftin, hatte sie Bewegungen übernommen. Und von allen anderen ebenfalls.
Sie war in der Lage zu variieren.
Sich zurückfallen zu lassen, sich sogar zurückzulehnen und dann etwas vollkommen Unerwartetes zu tun.
Sie konnte es in Neevas Gesicht lesen. Die Grimasse fraß sich tiefer und tiefer und wurde zu einem Ausdruck aufrichtiger Verzweiflung. Neeva vollführte ihre signifikanteste Bewegung, das »Z«. Erenis konterte mit einem wundervoll anzuschauenden »M«. Als das »Z« noch einmal kam, konterte sie mit etwas, das einem »Y« nahekam. Und beim dritten Mal sogar mit einem eigenen »Z«, das sich zu Neevas spiegelbildlich verhielt.
Dennoch verspürte Erenis keinerlei Triumph. Das hier war falsch. Die Klingentänzerinnen sollten niemals gegeneinander kämpfen. Sondern zusammenstehen gegen die Ungerechtigkeiten der Welt. Gegen die Männer. Nicht im Dienst eines Mannes, wie Neeva. Die Klingentänzerinnen waren Schwestern.
Sie spürte, wie ihre Augen sich schon wieder mit Tränen füllten.
Das war ihr bei einem Kampf noch niemals passiert. Vielleicht auch deshalb, weil es wirklich äußerst hinderlich war.
Neeva konjugierte sämtliche Angriffsmuster der Ugon-Fahus-Schule durch. Erenis konnte sie abzählen und erwarten. Erst die Sieben, dann die Fünfzehn, dann die Achtundzwanzig, die brachte jeden schulfremden Gegner aus dem Konzept, war aber für sie ganz einfach mit der Vier zu begegnen, dann versuchte Neeva die Fünf, dann noch mal die Fünf, das war eine Variante, die sie gemeinsam entwickelt hatten, als sie beide etwa vierzehn Jahre jung gewesen waren und ihren Kriegslehrer hatten schockieren wollen. Dann die Zehn. Und jetzt entweder die Einundvierzig oder die der Zehn sehr ähnelnde Zwölf. Neeva entschied sich für die Zwölf, weil sie dachte, Erenis würde nicht noch einmal zwei beinahe gleiche Angriffe erwarten.
Doch Erenis erwartete alles. Es war so durchschaubar wie ein aus Kristall geschliffenes Glas.
Sie beide hatten dieselbe Geschichte, dieselbe Kindheit, dieselben Strapazen, dasselbe heimliche Weinen, sogar dieselbe Hingezogenheit zu Tieren, die man streicheln konnte. Sie waren Schwestern. Sie durften nicht gegeneinander kämpfen.
Erenis zog sich mit einem Satz nach hinten aus dem Gefecht zurück und wischte sich mit dem Unterarm die Tränen aus den Augen. Neeva bemerkte erst jetzt, dass Erenis weinte.
»Es ist falsch«, sagte Erenis, und ihre Worte kamen in Schüben. »Wir sind die Letzten. Die Letzten, die noch übrig sind.«
»Deinetwegen«, sagte Neeva voller Hass.
»Ja, ich trage die Schuld daran. Aber umso
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