Klingenfieber: Roman (German Edition)
bemerkenswert.
Einmal durchritt sie ein Gesteinsfeld, das rot und gefaltet war wie das Innere einer riesigen Blume. Dann wieder erschienen die Felsen blau und gelb marmoriert. Es wuchsen Pflanzen in der Wüste, die mit kleinen Mäulern Käfer speisten. Und einmal sah sie eine Schildkröte, die auf ihrem Panzer eine Pfütze Wasser mit sich führte.
Sie erkannte den Berg der Masken an seinen Gesichtern. Sie waren nicht eindeutig, je nach Winkel des Sonnenlichts zeigten sie andere Mienen. Aber man konnte Stimmungen in diesen Felsen lesen, traurige, grimmige, selbst heitere. Mehr als zehn verschiedene.
Als sie sich näherte, hörte sie das Gelächter von Kindern.
Mädchen.
Die Geister verdursteter Mädchen?
Oder waren das sie und die anderen Klingentänzerinnen, als sie noch Kinder gewesen waren und zu lachen wagten in jenen raren Stunden, die die Ausbildung ihnen übrig ließ? War der Sandsturm eine Zeitverwehung gewesen, und sie befand sich nun im Gestern?
Sie hörte das Lachen nicht noch einmal, aber sie hätte schwören können, es sich nicht einfach nur eingebildet zu haben.
Der Weg zum Berg war zu steil für das Höckerpferd. Sie band es an, wo es von keiner Richtung aus gesehen werden konnte, obwohl sie wusste, dass man sie erwartete.
Als sie sich umschaute in der vielfarbigen Wüste, bemerkte sie die Staubfahne eines einzelnen Reiters. Schief und verweht. Langsam, aber auch stetig. Ihr folgend in großem Abstand.
Es war der Rittrichter, natürlich. Er war noch immer und vielleicht für immer hinter ihr her.
So viel Treue rührte sie beinahe.
Sie überlegte, ihm entgegenzugehen oder -zureiten, damit er nicht in ihre entscheidenden Gefechte mit Neeva und Ugon Fahus platzen und mit seiner Beschränktheit alles in Unordnung bringen oder sogar zerstören könnte, aber sie hatte nach wie vor einen beinahe abergläubischen Respekt vor seinen Schusswaffen. Sie brauchte sich nur an ihr linkes Ohr zu fassen und hielt den Beweis für die Gefährlichkeit dieser Geräte zwischen den Fingern. Wenn sie sich ihm näherte, würde er auf sie schießen, um endlich ein Ende zu machen, und sie fühlte sich zu erschöpft und gegen diesen Gegner auch zu gelangweilt, um noch einmal einem Bolzen ausweichen zu können.
Es gab die Möglichkeit, ihm zwischen Felsen aufzulauern, um ihn ein für alle Mal unschädlich zu machen. Aber sicherlich war er ihrer Staubfahne gefolgt, so, wie sie jetzt auch seine sehen konnte. Er wusste also, wo sie sich befand. Und ein Ortsverlagern und Auflauern, ein Hoffen, dass er auch tatsächlich dort vorbeikam, wo sie sich aufhielt, würde nur alles unnötig und quälend in die Länge ziehen.
Ugon Fahus war zu nahe. Sie wollte ihn endlich konfrontieren. Den Totgeglaubten. Der alles verkörperte, für das, aber auch gegen das sie jeden Tag einstand.
Sie beschloss, den Rittrichter zu ignorieren, um stattdessen ihrem eigentlichen Schicksal gegenüberzutreten. Bislang war der Rittrichter noch jedes Mal bezwingbar gewesen. Es gab keinen Grund anzunehmen, dass es ausgerechnet jetzt, am Berg der Masken, anders sein würde.
Sie begann den Aufstieg. Die Felsen am Berg waren scharfkantig, sie riss sich Streifen aus ihrem ohnehin schon vollkommen zerfledderten Kaftan und umwickelte sich die Finger damit. Der Aufstieg war mühsam, aber bewältigbar.
Die Staubfahne hinter ihr näherte sich stetig, in der Hitze zitternd, flatternd wie vor Furcht.
Eines der Bergmaskengesichter kam ihr bekannt vor. Sie überlegte. Einer ihrer Gegner aus einem der Dörfer? Den sie getötet hatte mit raschen Bewegungen? Gut möglich. Sie wusste es nicht mehr. Konnte sich nicht mehr an all diese Gesichter erinnern, die sie im Tod gleichförmig gemacht hatte. Es war auch einfach zu heiß.
Der Gedanke jedoch arbeitete in ihr weiter.
Sie betrachtete die anderen Gesichter des Berges. Einige schienen vor Qual verzerrt gen Himmel zu schreien. Eins grinste lüstern. Eins sah wie geschmolzen aus. Dort schien ein Eingang in den Berg zu führen.
Die Geister der Verdursteten spukten hier, hatte man ihr erzählt. Aber keiner ihrer Kampfgegner war verdurstet. Warum also sollte der Berg deren Gesichter abbilden? War Erenis denn nicht viel gnadenbringender als ein quälendes Verkümmern in der Wüste?
Die Gesichter veränderten sich. Je nachdem, aus welchem Winkel sie sie betrachtete, waren sie eindeutiger oder Zweifel zulassend, schienen sie etwas zu rufen oder Schalk in ihren Augenhöhlen aufblitzen zu lassen.
Die Staubfahne
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