Klondike
eine Mappe und schwor mir: »Eines Tages werde ich euch zum Druck verhelfen.« Dann kapitulierte ich vorerst und stürzte mich in aller Eile in die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß der Rest des Manuskripts unbeschadet durchs Lektorat kam.
»Gut Ding will Weile haben« - bevor es abstirbt, könnte man ergänzen, und dasselbe trifft auch auf Figuren zu, denen man einmal Leben eingehaucht hat. Während meiner nächtlichen Spaziergänge rief ich mir häufig die Ereignisse auf dem Mackenzie River ins Gedächtnis zurück, und ich war regelrecht verzweifelt über mein Versagen, daß die Geschichte nicht veröffentlicht worden war. Eines Abends hatte ich das Gefühl, meine fünf Gestalten würden revoltieren, meine Hilfe einklagen, und ich hatte eine wunderbare Idee: Warum die Geschichte nicht bei einem kanadischen Verlag unterbringen? Kaum hatte sich der Gedanke in meinem Kopf festgesetzt, nahm er auch schon ungeahnte Ausmaße an.
An dieser Stelle muß ich eine Bemerkung einfügen. Die Geschichte auf dem Mackenzie River, die unruhig in meinen Akten schlummerte, war sehr viel kürzer als die, die ich bei einem kanadischen Verlag unterbringen wollte. Ich hatte einige Abschnitte aus dem ursprünglichen Manuskript herausgenommen und davon Abstand genommen, weitere geplante zu schreiben, denn die ganze Sache war ohnehin schon zu lang geworden. Bei der Überarbeitung des Manuskripts für den kanadischen Verleger konnte ich die ganze Geschichte so konstruieren, wie ich sie von Anfang an hatte schreiben wollen. Gekürzte Teile rekonstruierte ich, und Teile, die ich ursprünglich beabsichtigt, aber dann verworfen hatte, fügte ich hinzu. Jetzt, wo ich an einem Kurzroman arbeitete, nicht nur an einer Sequenz für einen langen Roman, konnte ich meine Geschichte genauer recherchieren und Ereignisse und Passagen erfinden, die ich mir für den ersten Entwurf nicht hätte vorstellen können. Kurzum, ich verlieh einer Sache Substanz, die vorher bloß ein Knochengerüst gewesen war, aber mit keinem Wort wurde die Geschichte dahin gehend verändert, daß sie nun auf den kanadischen Leser zugeschnitten worden wäre. Es war und ist eine Geschichte, die einen doppelten Zweck erfüllen soll: den US-amerikanischen Leser mit Fakten bekannt zu machen, die für Kanada eine Rolle spielen, und kanadischen Lesern meinen Respekt vor der Geschichte und den Leistungen ihres Landes zu bekunden.
Ich hoffe, meine Freunde in der heutigen Metropole Edmonton entschuldigen, daß ich mich so ausgiebig mit dem Fehlverhalten ihrer Vorfahren in der Zeit von 1897 bis 1899 beschäftigt habe, aber die Propaganda für die Routen von Edmonton an den Klondike zu jener Zeit war einfach verwerflich und brachte vielen Menschen den Tod. In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich die Grenzstadt zu einem wichtigen Zentrum, von dem viel Gutes bei der Expansion Kanadas nach Westen und der Erschließung der Prärien ausging.
Nur ein Schriftsteller oder passionierter Rechercheur kann die stille Freude nachempfinden, die ich während der Arbeit an der letzten Fassung meines Buches verspürte. Mein Lektor in Toronto, mittlerweile informiert über meine Vernarrtheit in das
Foto jener unerschrockenen Goldgräberin, hatte den Verwalter des Archivs der Provinz Alberta gedrängt, einmal in seinen Akten zu stöbern, ob nicht der Name der Frau auffindbar sei, und eines Morgens bekam ich einen Anruf aus Toronto: »Gute Nachrichten! Sie haben den Namen herausgefunden. Mrs. Garner.«
Mir stockte der Atem, denn meine Spanischlehrerin auf der High-School, eine Absolventin des Swarthmore College, die mir mein Stipendium für ebenjenes College besorgt und mir damit die Voraussetzung für eine akademische Karriere verschafft hat, die mir viel Freude gemacht hat - diese Lehrerin hieß auch Miss Garner, so daß der Name bei mir in hohem Ansehen stand.
»Woher kam sie?«
Das hatte der Archivar nicht herausbekommen.
»Welche Route Richtung Norden hat sie genommen?«
Keine Auskunft.
»Kanadierin oder Amerikanerin?«
Nicht einmal das wußten sie. Aber ich wußte, sie war eine Person aus Fleisch und Blut, sie hatte im August 1897 das Studio von Ernest Brown aufgesucht, einem Fotografen in Edmonton, und sie hatte, wie alle anderen auch, die Stadt verlassen, um zum Klondike aufzubrechen. Mit dieser Information, war sie noch so bescheiden, gab ich mich zufrieden, denn auf dramatische Weise hatte sich der geisterhafte Schatten dadurch in einen lebendigen Menschen verwandelt.
Als wir das Buch
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