Klondike
blitzartig die Entscheidung, seinen amerikanischen Brüdern und Schwestern zur Hilfe zu eilen, und am 1. März 1879 fuhr das kanadische Kriegsschiff »Osprey« in den Sund von Sitka ein. Diese Machtdemonstration versetzte den Aufstandsplänen der Tlingits, wenn es sie denn gab, einen Dämpfer, und zwei Monate lang repräsentierte das kanadische Schiff so etwas wie eine funktionstüchtige Regierung in Alaska. Als schließlich doch noch verspätet ein amerikanisches Schiff einlief, salutierte die »Osprey« galant und zog sich zurück. Der dankbaren Gefühle der amerikanischen Siedler konnten sie sich sicher sein, noch lange sollten diese erzählen: »Als die Amerikaner keinen Finger rührten, um uns zu schützen, haben die Kanadier die Lage gerettet.«
Das war mein gesamtes Material, das ich über Kanadas Rolle als Grenzland Alaskas zunächst zur Verfügung hatte; nicht gerade viel, aber als ich dann ernsthaft anfing, wissenschaftlich zu recherchieren, stieß ich auf eine amerikanische Quelle, in der geheimnisvoll von einem kanadischen Schriftsteller namens Pierre Breton die Rede war, der, so schloß ich aus dem Eintrag, längst tot sein mußte und der ein Buch über den Goldrausch geschrieben haben sollte, das in den Vereinigten Staaten unter dem Titel »Das Klondike-Fieber« erschienen war. Ich bat eine Bibliotheksangestellte, die ich schon oft in solchen Fällen um Hilfe angegangen war, ob sie herausfinden könnte, wo das Buch greifbar wäre. Es waren keine fünf Minuten vergangen, da rief sie mich zu sich: »Der Autor weilt sehr wohl noch unter den Lebenden. Er ist einer von Kanadas angesehensten Schriftstellern. Sechs Nebenstellen in unserem Einzugsgebiet verfügen über das Buch, das erst 1958 erschienen ist. Ach, und noch etwas, sein Name ist Berton.«
Da ich die nächste Bibliothek von meinem Haus zu Fuß erreichen konnte, hielt ich bald eine Ausgabe dieser exzellenten Arbeit in den Händen. Es ist ein Buch, das mit einem hervorragenden Verständnis für die Organisation des vorliegenden Materials und für die Auswahl von Schwerpunkten geschrieben ist, aber während ich es in einem Zug las, wurde mir klar, daß Berton mir eigentlich nichts Neues über die gemeinschaftlichen amerikanisch-kanadischen Erfahrungen auf den Goldfeldern mitteilte. Meine Lektüre war dennoch keine Zeitvergeudung, denn Berton streute immer wieder faszinierende Bruchstücke von Informationen aus, von denen ich bislang noch nie etwas gehört hatte. Im sechsten Kapitel etwa stieß ich auf einen Abschnitt über die tragikomische Massenflucht aus der kanadischen Grenzstadt Edmonton.
Es war ein hinreißendes Material, genau die Art von Geschichte, die ich gesucht hatte und auf der ich eine in Kanada spielende Erzählung aufbauen konnte, um zu verhindern, daß mein Roman über Alaska zu einseitig wurde. Es hatte nachhallende Zwischentöne, steuerte Ergänzungen zu überlieferten Berichten bei und öffnete meine Augen für die komplizierte Rolle, die das westliche Kanada im Goldrausch gespielt hat. Es war von verlockender Kürze, nur dreizehn Seiten, aber ich bin Berton zu ewigem Dank verpflichtet dafür, daß er diesen kleinen Einblick in sein Buch aufgenommen hat, denn wenn ich durch ihn nicht auf den Wahnsinn aufmerksam gemacht worden wäre, der sich damals in Edmonton zugetragen hat - ich hätte es glatt übersehen, in keinem anderen Buch fand sich eine Erwähnung.
Sein Material, so hervorragend es auch sein mochte, gab für meinen Zweck jedoch nicht genug Fakten her, und so, wieder auf die Erfahrung einiger sehr hilfreicher Angestellter zurückgreifend, diesmal von wissenschaftlichen Forschungszentren in Alaska, vor allem der historischen Landesbibliothek in Juneau, fand ich schließlich in einer wissenschaftlichen Zeitschrift eine kleine Notiz. Sie besagte, daß die Geschichte von Edmonton mit allen Details von einem gewissen J. G. MacGregor in seinem Buch »Der Goldrausch am Klondike und seine Auswirkungen auf Edmonton, 1897-1898« festgehalten worden sei. Offenbar mußte darin das Material enthalten sein, was ich so lange gesucht hatte. Ich schickte Telexe in alle Richtungen aus, und als ich nach ein paar Tagen noch immer keine Antwort erhalten hatte, kam ich zu dem Schluß, das Buch müsse für private Zwecke gedruckt worden sein und vermutlich sei es vergriffen. Etwas später dann kam der Postbote mit einem Paket von der Leihbücherei einer fernen Stadt, und als ich es öffnete, hielt ich das Buch in den Händen, das ich für den
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