Klotz, Der Tod Und Das Absurde
denen Thorsten
Gummler jetzt nicht mehr spielen konnte, schlugen die hellen Lichtsalven in das
wache Auge des Hauptkommissars.
Er parkte den Wagen vor dem Haus in der Franz-Wittmann-Gasse in
Pottenstein, stieg aus und warf einen Blick auf die mittelalterliche
Burganlage, die drohend auf einem abschüssigen Felsen über der Stadt thronte.
Ihm fielen die Fensterläden auf, die in den Farben Rot und Weiß gehalten waren
und so deutlich machten, in welcher Region man sich hier befand.
Einen Augenblick lang überlegte er, ob er Escherlich wecken sollte.
Dann, als er durch eine smaragdgrüne Thujahecke den Duft frisch gegrillten
Fleisches wahrnahm, entschied er, dass sein Kollege seinen Schlaf unbedingt
brauche, und öffnete das Gartentürchen.
Der Mann, der da vor dem Grill saß und die Steaks wendete, wirkte
irgendwie deplatziert. So stellte man sich keinen Grillmeister vor. Er trug
einen karierten Flanellanzug, aus dem eine tadellose Krawatte hervorblickte,
die durch eine silberfarbene Nadel an einem hellblauen Hemd fixiert war. Die
Brille mit ihren großflächigen Gläsern in einer der Mode der achtziger Jahre
nachempfundenen Tropfenform erinnerte an Derrick. Doch Biros Gesichtsausdruck
wirkte weniger verhärmt, weniger kühl und rational als der des
Fernsehkommissars.
Biro lachte herzlich, als Klotz durch die Pergola in den hinteren
Teil des Gartens kam. Und Klotz fühlte sich wie damals, als er von längeren
Schulausflügen oder Zeltlagern wieder nach Hause gekommen war.
»Na, mein Klötzchen, setz dich erst mal. Wie geht’s?«
»Geht so. Den Umständen entsprechend. Und selbst?«
Biro bot Klotz ein Bier an, das dieser dankend ablehnte. Im Moment
wäre ein Wasser doch irgendwie angebrachter.
Klotz sah den Kois im Teich bei ihren Schwimmübungen zu. Bedächtig
zogen sie ihre Bahnen, tauchten ab und an kurz auf, machten einen runden Mund,
um irgendetwas Essbares von der Wasseroberfläche zu holen, und sanken dann wieder
hinab. Das beruhigte. Das und das Geräusch der vor sich hin brutzelnden Steaks.
Biro hatte das fertige Fleisch auf einen großen Teller gelegt, kam
gerade wieder aus der Laube mit zwei Schüsseln, eine mit Gurken-, die andere
mit Nudelsalat. Ein Koi platschte, und Klotz sah durch die ockerfarbenen Binsen
an einer steil ansteigenden Feldwand hoch, in den Himmel. Ein Idyll. Doch
irgendwie fröstelte ihn, zum ersten Mal an diesem Tag.
»Da, nimm!«, forderte Biro seinen Gast auf.
Klotz nahm die Wolldecke dankend in Empfang.
»Das kommt von der Felswand. Die kühlt immer, winters wie sommers.
Eine feuchte, unangenehm schneidende Kühle«, fügte der Gastgeber hinzu.
Nachdem sich Klotz die Decke um die Beine geschlagen hatte,
berichtete er von dem aktuellen Fall. Kriminalhauptkommissar a. D.
Karl-Ernst Biro hörte aufmerksam zu. Als er sich mit einer Papierserviette den
Mund abgewischt hatte, begann er zu erzählen. Von einem Fall, der sich Ende der
Siebziger ereignet hatte.
Der siebzehnjährige Sohn einer Familie hatte morgens tot im Bett
gelegen. Um beide Handgelenke waren zwei fest verdrillte Kabelstränge gebunden.
Die Kabel waren an eine über vier Meter entfernte Steckdose angeschlossen. Die
Situation war absurd: Der Jugendliche konnte sich unmöglich die Kabel um die
Arme gelegt, dann die Enden in die Stromdose gesteckt haben und zum Bett
zurückgegangen sein. Zunächst war man also von Mord oder Tötung auf Verlangen
ausgegangen. Jemand musste ja die Kabelenden in die Steckdose geführt haben,
während das Opfer im Bett gelegen war. Es folgte eine Vielzahl von Befragungen
und Verhören. Kein Ergebnis. Alles für die Katz. Drei Tage später war Biro noch
einmal zum Tatort gefahren, die Sache ließ ihm keine Ruhe. Er hatte sich schon
über eine Stunde in dem Zimmer des Toten aufgehalten und war immer noch genauso
ratlos und unwissend wie zu Beginn der Ermittlungen. Da hatte er im
einsetzenden Licht der Dämmerung plötzlich eine Unregelmäßigkeit im Mauerwerk
oberhalb der besagten Steckdose bemerkt. Er hatte sich die Stelle genauer
angesehen. Die Wand musste dort geöffnet und wieder zugegipst worden sein. Biro
war schnell zu seinem Wagen gegangen, hatte sich einen großen Schraubenzieher
und einen Hammer aus dem Werkzeugkasten geschnappt und war schnurstracks wieder
zum Tatort gelaufen. Nachdem er die Stelle aufgestemmt hatte, war der Fall
gelöst. In akribischer Kleinarbeit hatte der Jugendliche den Kabelstrang vom
Hauptstrom zur Steckdose gekappt und eine batteriebetriebene
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