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Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Klier
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Zeitschaltuhr
dazwischen montiert. Ein paar Schlaftabletten hatten ihr Übriges getan. Und zu
festgesetzter Stunde war dann der tödliche Strom geflossen.
    Das Motiv? Der Siebzehnjährige wollte, dass es so aussah, als hätten
seine Eltern ihn umgebracht. So perfide können Selbstmörder denken. Rache durch
und über den eigenen Tod hinaus.
    Klotz wusste nicht so recht, was er mit der Geschichte anfangen
sollte, und schwieg deshalb. Besser nichts sagen, bevor man etwas Dummes sagt.
Dies war eine Lebensregel, die er durch jahrelanges Training verinnerlicht
hatte, doch Biro hakte nach.
    »Und? Was lernen wir daraus?«
    »Dass es bei unserem aktuellen Fall überhaupt kein Mord war. Also
doch Suizid«, antwortete Klotz unsicher.
    »Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir oft sehen und doch
nicht sehen. Lerne, die Perspektive zu wechseln. Guck hinter die Kulissen. Die
Welt ist nicht nur ein- oder zweidimensional. Verliere nie die anderen, vielen
Dimensionen aus den Augen. Und ein bisschen Glück musst du natürlich auch
haben. Hätte ich mir den Tatort damals nicht bei einsetzender Dämmerung
angesehen, dann wäre der Fall vermutlich bis heute ungelöst.«
    Biro hatte zwar abgelehnt, aber Klotz half ihm doch, das Geschirr in
die Laube zu bringen. Er mochte den warmen Ton der Holzpaneele, mit denen das
Gartenhaus ausgeschlagen war. Er hatte die Teller mit dem Besteck auf den Tisch
gestellt, und sein Blick fiel auf eine Vitrine, die in einer Ecke stand. Klotz
musste sich unweigerlich an Thorsten Gummler erinnern. Die aufgebaute Szenerie
stellte Soldaten aus dem achtzehnten oder neunzehnten Jahrhundert dar, so viel
konnte Klotz erkennen.
    »Siebenjähriger Krieg, Schlacht von Roßbach, 5. November 1757. Die
Berittenen mit den gezückten Säbeln sind die Franzosen, die Fußsoldaten in den
blauen Röcken sind Preußen. Infanterieregiment Nummer fünf Alt-Braunschweig«,
erläuterte Biro.
    Die Hüte einiger dieser Preußen, fand Klotz, sahen wie nach vorn
gebogene Schultüten aus. Irgendwie lächerlich.
    »Und? Wer hat die Schlacht gewonnen?«, fragte Klotz nach.
    Doch Biro, der schon wieder auf dem Weg nach draußen war, hatte ihn
nicht richtig verstanden.
    »Wie bitte? Die hab ich noch mit deinem Vater gemacht. Du weißt ja.
Er hat die Figuren gegossen, ich hab sie bemalt.«
    Für einen kurzen Moment sah Klotz seinen Vater vor sich, wie er in
seiner Werkstatt heißes Zinn in diese Metallformen goss. »Nürnberger
Meisterzinn«, hatte auf ihnen gestanden, glaubte sich Klotz zu erinnern. Dann,
mit einem Mal, schob sich ein anderes Bild über diese beschauliche Szene: Sein
Vater auf der Intensivstation, bleich, zitternd, schwitzend. So ganz ohne Kraft
und Willen. So wie er ihn noch nie gesehen hatte. So machtlos, so ohne
Hoffnung. So hatte er ihn das letzte Mal gesehen.
    »Und abgesehen davon, dass mir unser gemeinsames Hobby einen
Heidenspaß bereitet hat, war dein Vater ein hervorragender Gerichtsmediziner«,
führte Biro weiter aus.
    Klotz fiel wieder der Alptraum von letzter Nacht ein, den sein
Bewusstsein schon beinahe verdrängt hatte. Er sah wieder diese vertrockneten,
leblosen Lippen ihr Urteil sprechen. Das letzte Wort des hervorragenden
Gerichtsmediziners, der sich für seinen Vater ausgab. Versager!
    Er fühlte sich plötzlich unwohl. Er wollte gehen. Warf einen
geübten, leicht vorwurfsvollen Blick auf seine Armbanduhr, der seinem Gegenüber
ein schlechtes Gewissen machen sollte.
    Es war kurz nach drei, als er Biro verließ.
    * * *
    Astrid Haevernick war auf dem Weg zum Hauptbahnhof. Dass ihre
Unternehmung viel Erfolg haben würde, bezweifelte sie stark. Das einzig
Sichere, was Klotz ihr am Telefon hatte mitteilen können, war, dass der Mann,
den sie suchten, Charlie Schmidt hieß. Die Ortsangabe war eher diffus, irgendwo
um den Hauptbahnhof herum könnte sich
dieser Typ aufhalten. Haevernick liebte die Präzision, mit der ihr Vorgesetzter
arbeitete.
    Sie betrat die Eingangshalle. Ein Lautsprecher verkündete, dass sich
irgendwer bitte umgehend am Service-Point einfinden sollte. Auf der großen
Anzeigetafel klappten Buchstaben und Zahlen um.
    Sie schloss den Kragen der dunkelblauen Steppjacke und überprüfte
kurz den Sitz ihres Haargummis. Dann ging sie auf die beiden DB -Sicherheitskräfte zu, die sie an
deren knallroten Baretten erkannt hatte. Nachdem sie ihr Anliegen vorgebracht
hatte, riefen die beiden über Funk die Kollegen von der Bahnpolizei.
    Während sie wartete, holte sie sich einen Kaffee.

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