Klotz, Der Tod Und Das Absurde
hatte er ganz vergessen zu
gucken, für welches Produkt dieser eingesaute Hintern warb. Hustensaft, glaubte
er sich zu erinnern, aber ganz sicher war er sich da nicht.
Keine Taschentücher dabei. Mist.
»Entschuldigung, haben Sie zufällig ein Tempo?«
Die Frau schaute ihn entgeistert an, gab aber keine Antwort. Was
machte man in solchen Fällen? Er spürte, wie sich der Tropfen unter seiner Nase
löste. Lass es raus! Ejaculatio nasalis .
Gestern Abend hatte das angefangen mit dieser Erkältung. Als er im
Bett gelegen war und diese beiden Akten durchgesehen hatte. Lohofer und Morvan.
Und er war zu folgendem Ergebnis gekommen: Abgesehen von den Detailaufnahmen der
Unterarme waren alle Fotos unterschiedlich. Bei Britta Lohofer und Elisa Morvan
handelte es sich um zwei unterschiedliche Frauen, das war klar. Doch diese
Nahaufnahmen der Pulsaderschnitte waren das Problem. Wie konnte es sein, dass
diese identisch waren? Zu welcher Leiche gehörten diese Abbildungen
tatsächlich? Und vor allem blieb die Frage, warum überhaupt zwei
unterschiedliche Akten gleiche Fotos enthielten. Ein Versehen? Eine
Verwechslung? Klotz wusste keine Antwort. Alles in den Tatortbefundberichten
war ordentlich gekennzeichnet und unterschrieben gewesen. Die
rechtsmedizinischen Gutachten, die von seinem Vater, Dr. Reinhard Klotz,
erstellt worden waren, wiesen keinerlei Besonderheiten auf. Der Mord an Britta
Lohofer hatte eindeutig dem Serientäter Kleinschraut zugeordnet werden können.
Der Tod Elisa Morvans war ohne Fremdeinwirkung eingetreten. Sie hatte sich in
der Nähe einer Baustelle an der Südwesttangente die Pulsadern geöffnet und war
verblutet. So stand es im Bericht. Und dem musste man glauben. Sollte man
glauben können. Doch irgendetwas war faul an der Geschichte. Während der
Durchsicht der Akte Morvan hatte ihn der Eindruck beschlichen, dass dort einige
Seiten fehlten. Er nahm sich vor, die Akte am Abend genauer zu sichten. Jetzt
musste er sich erst einmal auf den aktuellen Fall konzentrieren.
Die Straßenbahn der Linie fünf war in der Wendeschleife am
Hauptbahnhof angekommen. Klotz sah auf die monumentale neubarocke Fassade des
Bahnhofsgebäudes und nahm die reich gestalteten Plastiken wahr. Er musste an
Haevernick denken.
Als er ausstieg, fiel das Grand Hotel in seinen Blick, das in einen
Schleier aus hell glitzernden Weihnachtslichtern gehüllt war. Neben dem
Eingangsportal hing ein Transparent, das für eine Hochzeitsmesse Werbung
machte, die am Dreikönigstag beginnen sollte und den sinnigen Titel »Ja, ich
will!« trug. In seinem Inneren sträubte sich alles. Klotz beeilte sich, rasch
hinunter in den U-Bahn-Schacht zu kommen.
»Gesundheit!«
»Danke.«
Klotz sah auf Escherlichs Hinterteil, das in einer Jeans steckte,
deren ausgefranste Hosenbeine bis auf den Boden reichten und einen ordentlichen
Schlag hatten. Passt zu dem Typ, der drinsteckt, dachte Klotz und zwängte sich
an seinem Kollegen vorbei, der den Gießkannenhals aus dem Ficus Benjamini gezogen
hatte und sich jetzt der Yuccapalme zuwandte. Klotz musste für einen Moment
wieder an diese bizarre Hustensaftwerbung denken.
Klotz war zu seinem Schreibtisch gegangen. Nervös zog er eine
Schublade nach der anderen heraus.
»Was ist denn los mit dir? Was suchst du denn?«
»Verdammt! … Was?«
»Was du da suchst«, wiederholte Escherlich.
»Irgendwelche Scheiß-Taschentücher. Mir läuft die Nase.«
Escherlich ließ seinen Hintern auf seinen Bürostuhl klatschen. Dann
warf er Klotz eine Packung Tempos zu.
Das nächste klatschende Geräusch, das dem von Escherlichs landendem
Hintern sehr ähnlich war, stammte von einer Zeitung, die Polizeichef Huber den
beiden Kommissaren wenige Minuten später auf den Schreibtisch knallte. Huber
enthielt sich eines Kommentars. Der hochrote Kopf und die funkelnden Augen
sprachen für sich.
»Unglaublich!«, entfuhr es Klotz.
Er hatte sich gerade selbst auf dem Titelfoto der Nürnberger
Nachrichten wiedererkannt, wie er dastand, mit aufgerissenem Mund. Und
Escherlich erst. In halb gebückter Haltung. Streckte seine Hand nach einer
Kippe aus, die am Boden lag.
Neben dem Foto: »War es Mord?« Der Untertitel: »Spektakulärer
Todesfall bei Hiltpoltstein – Kripo tappt im Dunkeln«.
Die beiden Kommissare überflogen den Artikel.
»Und, meine Herren? Was sagen Sie dazu?«, fragte Huber in
vorwurfsvollem Ton.
Wenn er den in die Finger bekäme, dachte Klotz statt zu antworten.
Diesen Haderlump! Ihm fiel unweigerlich
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