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Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Klier
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Er stellte den Bonsai ab
und steckte den Ausweis ein.
    Plötzlich riss eine Sturmböe das Fenster auf. Es pfiff fürchterlich.
Er hörte ein schwappendes, wässriges Geräusch, kurz darauf schepperte
irgendetwas Glasiges und brach. An dem dumpfen, knirschenden Schlag erkannte
er, dass eine Pflanze in ihrem tönernen Gefäß zu Boden gegangen sein musste. Aus
dem Augenwinkel sah er Papier durch den Raum wirbeln.
    Klotz warf das Fenster zu, drückte den Hebel nach unten und sah sich
panisch im Zimmer um. Unter seinen Sohlen knirschten ein paar Scherben, die
einmal zu einer Kaffeekanne gehört hatten. Er hob einen rotbraunen Topf auf,
der in einer Lache aus Kaffee, Glasscherben und Erde schwamm. Das ganze Zimmer
sah aus wie nach einem Bombenangriff.
    Er atmete tief ein und seufzte. Jetzt würde er wohl etwas tun
müssen, was sich kaum verhindern ließ: Schweren Schrittes ging er zu dem
Schränkchen, auf dem die Kaffeemaschine stand, öffnete es und zog Handfeger und
Schaufel hervor. Während er die Scherben zusammenkehrte, musste er an den
rothaarigen Typen mit dem Strickpullover denken. Eigentlich müsste der jetzt
hier aufräumen, dachte Klotz, letztlich war der doch dran schuld, dass ich
vergessen habe, den Schließhebel des Fensters nach unten zu drücken.
    Schließlich hatte Klotz auch noch die losen Blätter vom Boden
aufgesammelt. Ordnen werde ich die aber nicht mehr, dachte er ärgerlich und
warf den Packen auf den Schreibtisch. Und während er das tat, fiel ihm der
dunkelgrüne Einband einer Ermittlungsakte auf, die da lag. Er setzte sich. Nahm
die Akte. Schlug sie auf.
    Klotz wunderte sich. Eigentlich hätte die Akte gar nicht hier sein
dürfen. Sie stammte nämlich aus einer Zeit, als er hier noch gar nicht
gearbeitet hatte. Doch der Fall war ihm vertraut. Vor sieben Jahren hatten Biro
und er das Ding zu Ende gebracht.
    Britta Lohofer, Aktenzeichen I /218/1988.
Klotz las und erinnerte sich. Der Fall Kleinschraut. Eine harte Nuss, aber sie
hatten sie schließlich geknackt. Eine Sache, die Biro siebzehn Jahre lang keine
Ruhe gelassen hatte.
    Robert Wilhelm Kleinschraut, der Besitzer eines Gutshofes bei
Katzwang, hatte im Jahre 1982 damit begonnen, Gefallen daran zu finden,
Prostituierte vom Straßenstrich in sein Auto zu locken, um mit ihnen zu sich
nach Hause zu fahren. Kleinschraut war aber kein gewöhnlicher Freier. Um zum
Höhepunkt zu gelangen, musste er seinen Opfern die Brust mit den Fäusten
zerschlagen. Klotz hatte die schrecklichen Bilder von damals wieder klar vor
Augen. Die Mädchen waren fürchterlich entstellt gewesen. Kleinschraut musste
wie ein Wahnsinniger zugeschlagen haben. Immer und immer wieder, wie andere auf
einen Sandsack dreschen. Doch dann war da noch diese völlig irrationale
Komponente, die ihnen lange Zeit Kopfzerbrechen bereitet hatte. Die
Auffindungssituation war jedes Mal unterschiedlich. Sie fanden die Leichen auf
dem Rücken liegend, auf dem Bauch, verdreht an einem Hang. Auch der Ablageort
schien für den Täter keine Rolle zu spielen. Aber neben einem völlig
entstellten Brustbereich hatte es ein Merkmal gegeben, das alle Leichen
gemeinsam aufwiesen und das Biro und er nicht hatten deuten können: Die
Pulsadern an beiden Unterarmen waren aufgeschnitten worden, und zwar post
mortem !
    Schließlich konnte Kleinschraut eines Tages gefasst werden. Als er
sein neuntes und letztes Opfer verschwinden lassen wollte, war er beobachtet
und wenig später identifiziert worden. Die stundenlangen Verhöre mit dem
Serienmörder brachten endlich Licht in das Dunkel. Die Lösung war allerdings
ebenso absurd wie banal. Nachdem Kleinschrauts Rauschzustände abgeebbt waren
und er die Tragweite dessen, was er angerichtet, annähernd erkannt hatte, schlitzte
er den Frauen die Venen auf, um es wie Selbstmord aussehen zu lassen. Dass
diese Vorgehensweise unglaublich dumm und fernab jedweder Logik lag, ahnte er
durchaus, aber die Hoffnung, dass die Polizei von einem Suizid ausgehen könnte,
war dennoch stärker.
    Abgesehen von den bestialischen Scheußlichkeiten, mit denen Klotz
während der Aufklärung des Falls konfrontiert worden war, hatte er damals auch
etwas gelernt: Serientäter waren wie Tiere, sie waren sogar schlimmer als
Tiere. Und dass sie ihre abartigen Triebe nicht kontrollieren konnten, hatte
damit zu tun, dass sie dumm waren, unglaublich dumm. Nur dumm und sonst nichts.
Der Mythos vom hochintelligenten, genial planenden Serientäter à la Hannibal
Lecter war eine Mär, die das

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