Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Hollywood-Kino verbrochen hatte.
Nachdem Klotz die letzte Seite der Akte überflogen hatte, entdeckte
er auf der Innenseite des Einbands einen handschriftlichen Eintrag: Vergleiche
Akte II /323/1988 Elisa Morvan!
Klotz war verwirrt. Was sollte dieser Vermerk? Und wie überhaupt war
diese Akte auf seinem Schreibtisch gelandet? Irgendjemand musste sie ja dorthin
gelegt haben. Escherlich? Nein, unmöglich. Der hatte ja keine Ahnung von diesem
verflossenen Fall. Dafür war er einfach noch nicht lang genug da. – Eine vage
Ahnung beschlich ihn.
»Suizid oder Mord?«, flüsterte er vor sich hin und beschloss, das
Archiv aufzusuchen.
Er betrat den muffigen Saal. In nüchternen, unter rein pragmatischen
Gesichtspunkten ausgewählten Stahlregalen standen die gesammelten Akten aller
Abteilungen der Kriminalpolizei Nürnberg aus zwanzig Jahren. Alles, was älter
war, wurde ausgelagert, ins Zentralarchiv, nach München.
»Walther?«
Durch das Fenster konnte er einen Überwachungswagen sehen, der
gerade den Schlagbaum passierte.
»Walther? Jemand zu Hause?«
Vermutlich war Walther sich einen Kaffee holen. Dauerte immer ein
bisschen für Kollegen, die im Archiv ihren Dienst schieben mussten. Der nächste
Automat stand drüben im gegenüberliegenden Trakt, vor der Kantine.
Während Klotz über einen dämpfenden Bodenbelag aus Naturkautschuk
ging, nahm er das nervöse Flackern einer defekten Neonröhre wahr, die ungefähr
den Bereich anzeigte, wo das Jahr 1988 archiviert sein musste.
Endlich hatte er den richtigen Gang erreicht. Er suchte die
Kennziffern auf den Einlegeböden ab. Als er fündig geworden war, nahm er Daumen
und Zeigefinger, um die Akte, die sich zwischen 322 und 324 befand, zu greifen.
Hatte die Kladde schon in der Hand, als er plötzlich durch einen heftigen
Nieser aufgeschreckt wurde, der dem Trompeten eines Elefanten ebenbürtig
gewesen wäre. Nur einen Gang weiter putzte sich Walther die Nase und murmelte
ein kaum verständliches »Dschuldigung«. Klotz sparte sich ein wohlmeinendes
»Gesundheit«, weil es nicht wohlmeinend gewesen wäre: Er fühlte vielmehr einen
unüberwindlichen Drang in sich, den Kollegen ordentlich zusammenzuscheißen.
Nach zwei bis drei Kraftausdrücken, die Klotz lediglich in Gedanken
herausgerutscht waren, wandte er sich dem Chaos zu, das sich zu seinen Füßen
befand: Ihm war vor Schreck nicht nur die Akte Lohofer heruntergefallen. Auch
die andere, die er gerade noch in der Hand gehalten hatte, war ihm entglitten.
Großartig! Zuerst diese Sturmböe im Büro
und jetzt diese Bescherung hier! Überall Chaos, Krise, Katastrophe.
Klotz ging auf die Knie und fragte sich ernsthaft, ob da eine
Himmelsmacht, von der er nur diffuse Vorstellungen hatte, der Meinung war, dass
er irgendeine Schuld abzutragen hätte. Dann ergab er sich seinem Schicksal und
fing an aufzuräumen.
Nachdem er das herumliegende Papier in die Mappen eingeordnet hatte,
sammelte er die verstreuten Fotos auf. Klotz ärgerte sich darüber, dass er sich
gezwungenermaßen die Bilder von diesem Kleinschraut-Fall ansehen musste. Anhand
der auf der Rückseite angebrachten Kennung konnte er die Aufnahmen den verschiedenen
Akten zuordnen. Schließlich hatte er zwei Stöße von Fotos. Nun musste er die
Bilder nur noch in die richtige Reihenfolge bringen: Totale, Kopf, Torso,
Unterleib, Gliedmaßen.
Irgendwie hatte Klotz plötzlich den Eindruck, dass er einige Fotos falsch
zugeordnet haben musste. Er durchsuchte den Stapel Britta Lohofer, bis er zu
den Ablichtungen der Unterarme gekommen war. Dann verglich er diese Fotos mit
den entsprechenden aus der Akte Elisa Morvan. Da konnte etwas nicht stimmen. Er
musste sich getäuscht haben. Jetzt nahm er jeweils das Foto, das den Bereich
der Unterarme fokussierte, in dem der Schnitt an den Pulsadern zu sehen war.
Auf beiden Fotos konnte man die linke Innenhand erkennen. Er schob die Aufnahme
der Akte Lohofer und die der Akte Morvan übereinander. Entfernte das eine Foto
etwa einen Millimeter vom Randbereich des anderen, um Abstände zu vergleichen.
Führte dieses Verfahren an den restlichen drei Kanten der beiden Fotos analog
durch. Drehte die Aufnahmen schließlich um und schaute ungläubig auf die
unterschiedlichen Kennziffern: I /218/1988
für die Akte Britta Lohofer, II /323/1988
für die Akte Elisa Morvan.
Im Prinzip war das unmöglich, doch Klotz hatte den Beweis in seinen
Händen: Ein und dieselbe Ablichtung war verschiedenen Opfern zugeordnet worden.
Klotz warf einen
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