Klotz Und Der Unbegabte Moerder
jetzt öffnete. Er legte die Harpune an.
»Da, jetzt zuckt er nach hinten! Der Rückstoß«, rief Haevernick aus. Klotz hielt das Band an.
»Vier Uhr neunzehn und dreiundzwanzig Sekunden«, las Klotz die Zeit ab, bevor er das Video wieder weiterlaufen ließ. Der Mörder von Linda Cordes hatte innerhalb der nächsten Sekunde das Bankgebäude verlassen.
Verärgert warf Escherlich die rote Schachtel Gauloises auf das Durcheinander, das sich auf seinem Schreibtisch befand.
»Wir haben alles gesehen und wissen nichts! Gar nichts! Das darf nicht wahr sein!«
Er legte seine Hand auf die Stirn, um sie dann bedächtig bis hinunter zum Kinn gleiten zu lassen. Klotz schenkte kalten Kaffee in seine Tasse und setzte sich.
»Weißt du, was mich wundert, Peter?«
Escherlich war gerade dabei, eine Zigarette aus der roten Schachtel zu kramen, und sah ziemlich genervt aus.
»Was?«
»Wir haben jetzt dieses Video von der Sparkasse, aber was ist mit der HypoVereinsbank? Der Bereich im Eingang unter den Arkaden, der müsste doch auch videoüberwacht sein.«
Escherlich versuchte, seine Zigarette anzuzünden. Das Feuerzeug sprühte Funken, eine Flamme wollte nicht entstehen.
»Wird er auch. Hast du Feuer?«
»Du weißt, dass ich nicht mehr rauche. Und warum haben wir dann kein Video?«
Escherlich schleuderte das defekte Feuerzeug auf die Fensterbank.
»Sparmaßnahmen.«
»Wie bitte? Sparmaßnahmen?«
»Ja, du hast schon richtig gehört. Seit der Bankenkrise observieren die den Eingangsbereich nur noch unter der Woche. Am Wochenende bleiben die Überwachungskameras ausgeschaltet.«
»Ich glaub, ich brech zusammen! Die sparen an der Überwachung ihrer Bank! Dürfen die das überhaupt?«
Escherlich suchte zwischen dem Wust aus Papier, leeren Coladosen, Pizzakartons und Gummibärchentüten nach irgendetwas, das seine Kippe zum Glühen hätte bringen können.
»Ja, weißt du denn nicht, dass unsere Banken notleidend sind? Was dürfen diese Bankster denn bitte schön nicht? Verdammt noch mal! Wo zum Teufel ist hier ein Feuer?«
»Du kannst ja mal drüben in der Teeküche nachschauen.«
»Da hab ich noch nie irgendwelche Streichhölzer oder Feuerzeuge gesehen.«
»Aber da ist ein Herd. In der größten Not hab ich mir früher meine Kippe an der Herdplatte angezündet. Ist zwar ein bisschen umständlich, aber es funktioniert.«
Nachdem Escherlich das Büro verlassen hatte, klingelte das Telefon. Frau Staatsanwältin Gulden war am Apparat. Zu Klotz’ Überraschung eröffnete sie ihm, dass er den Rest des Tages frei habe. Klotz fragte sich sofort, wo der Haken an der Sache sei, und wurde auch umgehend aufgeklärt: Morgen um zehn Uhr dreißig würde er in der 11a des Max-Morlock-Gymnasiums eine Deutschstunde über Goethes »Werther« halten. Er dürfe deshalb den heutigen Nachmittag für die Vorbereitung seiner Rolle und seines Unterrichts nutzen.
»Das sind ja prima Aussichten!«, entfuhr es Klotz. Der ironische Unterton war unvermeidlich gewesen und wurde von der Gulden geflissentlich ignoriert.
»Ich möchte, dass Sie morgen pünktlich um acht hier auf dem Präsidium erscheinen. Frau Zangenberg hat sich bereit erklärt, sich um Ihr äußeres Erscheinungsbild zu kümmern. Das heißt nicht, dass Sie nicht auch selbst ein wenig Einsatz zeigen dürfen. Ein Sakko werden Sie ja wohl haben und eine Krawatte auch. Ich will, dass Sie so seriös wie möglich wirken, wenn Sie morgen in diesem Gymnasium antanzen.«
Klotz schluckte. Er fragte sich, wann er das letzte Mal seriös gewirkt hatte.
Klotz fuhr auf den Bürgersteig und parkte den Streifenwagen vor einer Buchhandlung. Als das Auto stand, wischte er sich mit einem Taschentuch übers Gesicht. Dann stieg er aus.
»Und was soll das jetzt hier?«, fragte Escherlich verwundert, der offenbar noch nicht mitbekommen hatte, dass es sich beim »Werther« um einen Roman handelte. Den bösen Blick eines Punks, der aus Richtung Burger King kam, schien er nicht zu bemerken.
Klotz schaute zum Handwerkerhof hinüber. Bemerkte einen Biergarten, in dem sich mehrheitlich Touristen eine Erfrischung gönnten. Wenn man dieses Münchner Paulaner trinken könnte, dachte er, dann wäre dieses Lokal eine echte Alternative. Er wandte den Kopf, verschob den Buchkauf innerlich auf später und zeigte auf das orange-blaue Schild des Aldi-Supermarkts.
»Du hast doch gesagt, du brauchst Feuer.«
Escherlich starrte sichtlich desinteressiert auf den Backautomaten, vor dem sich ein untersetzter,
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