Klotz Und Der Unbegabte Moerder
gelagert, dass sich niemand im Geringsten erklären konnte, wer Linda Cordes umgebracht haben könnte und weshalb. Das vorherrschende Gefühl konnte als eine allgemeine Unsicherheit und Betroffenheit beschrieben werden. Ein Gefühl, das in der Suche nach irgendwelchen diffusen Erklärungsmodellen mündete, an die man sich immer gerne klammerte. Zumindest hatte man ihnen hinter vorgehaltener Hand mitgeteilt, dass es in der letzten Zeit um die Ehe der Cordes nicht besonders gut bestellt gewesen sei, wie um sechzig Prozent aller Ehen. Genaueres hatte man aber nicht zu sagen gewusst.
Klotz überlegte, ob er an dieser Stelle vielleicht die Sache mit dem Kinderwunsch der Cordes anmerken sollte. Ließ es dann aber sein, da Haevernick gerade ziemlich in Fahrt gekommen war.
»Insgesamt muss ich sagen, dass mir das doch recht schwierig erscheint, zu den einzelnen Lehrern durchzudringen. Wir haben denen zwar unsere E-Mail-Adresse und Telefonnummer dagelassen, vielleicht fällt ja dem ein oder anderen noch etwas ein, wer weiß, aber viel Hoffnung hab ich ehrlich gesagt nicht. Ein dröger Haufen war das. Und ich dachte immer, das wären Intellektuelle.«
»Gut. Und dann?«
Escherlich schenkte reihum von dem frisch aufgebrühten Kaffee ein.
»Tja, wir sind dann in die Klassen der Frau Studienrätin Cordes. Eigentlich nur in eine einzige.«
»Warum das denn? Hat sie nur eine Klasse unterrichtet?«
»Das nicht. Aber bei näherer Betrachtung schien uns nur eine Klasse relevant.«
»Die Cordes hatte bis auf eine Ausnahme nur Mittel- und Unterstufenklassen, also die Kleinen«, erläuterte Escherlich die Ausführungen seiner Kollegin.
»Aha. Und ihr seid dann zu den Großen.«
»Genau«, übernahm wieder Haevernick, »wir sind mit diesem Konrektor, wie heißt der noch mal?«
»Spielmann«, half Escherlich seiner Kollegin.
»Spielmann, genau. Also, wir sind dann mit diesem Spielmann in die 11a.«
»Jetzt kommt’s«, warnte Escherlich vor und stellte die leere Kaffeekanne mit einem dumpfen Geräusch auf der Fensterbank ab.
»Also«, fuhr die Oberkommissarin nun in bedächtigem Ton fort, »wir erzählen denen, warum, weshalb und überhaupt. Und plötzlich, man glaubt es kaum …«
Haevernick nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.
»Und plötzlich?«
»Und plötzlich steht da einer auf. In der letzten Reihe. Armyklamotten, Basecap. So ein ganz Cooler.«
»Checker nennt man die, glaub ich«, brachte Escherlich sein Fachwissen in puncto Jugendkultur an.
»Der Checker steht also auf, kommt nach vorne, faselt irgendetwas von Rache und dass die kalt serviert wird oder so etwas in der Art.«
»Wie bitte?«, fragte Klotz überrascht.
»Ja, ohne Mist! Und als er dann vorne angekommen ist, tritt er gegen das Pult, aber so, dass die Tischkante diesen Spielmann an der Hüfte erwischt.«
»Und dann?«
»Dann ist er rausgerannt.«
»Und habt ihr ihn danach wenigstens sprechen können, den Checker?«
»No chance! Das ist ‘ne Schule mit über tausend Schülern. Überhaupt war da dann Pause oder Stundenwechsel oder so was. Mit einem Mal war alles voll mit schreienden Menschen zwischen zehn und zwanzig. Das musst du dir mal geben, Mann! Also manchmal, da bin ich dann doch ganz froh, dass ich bei der Polizei bin.«
»Zumindest haben wir Namen und Anschrift«, bemerkte Haevernick, »er heißt Maximilian Rausch, ist siebzehn Jahre alt und wohnt in Sankt Leonhard.«
»Na, das ist ja schon mal was«, versuchte Klotz, seine Kollegen aufzumuntern.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Kurz, trocken und nur ein einziges Mal.
Noch bevor irgendjemand »herein« hätte rufen können, stand die Gulden im Raum. Nachdem sie ihre schwarze Ledertasche auf Klotz’ Schreibtisch gelegt und um einen Kaffee gebeten hatte, verlangte sie nach Aufklärung hinsichtlich der bisherigen Ermittlungsergebnisse.
Während Klotz, der sich inzwischen erhoben und der Frau Staatsanwältin seinen Platz angeboten hatte, an der Kaffeemaschine herumhantierte, brachten Escherlich und Haevernick die Vorgesetzte auf den neuesten Stand.
»Hm. Schwierig«, bemerkte Frau Gulden abschließend und legte den Zeigefinger der rechten Hand auf ihre geschlossenen Lippen. Dann drehte sie sich um und sah zu Klotz, der neben der Kaffeemaschine stand und ziemlich vertieft in die Betrachtung seiner Fingernägel zu sein schien.
»Was meinen Sie, Herr Hauptkommissar?«
Auch wenn sie auf seinem Platz saß und mit ihrer Tasche seinen Schreibtisch in Beschlag genommen hatte: Er
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