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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Frühstück hin.
    Schreiber geht auf sein Zimmer, direkt am Swimmingpool, wirft Koffer und Aktentasche aufs Bett. Er dreht die Klimaanlage hoch, zieht die Vorhänge zu, öffnet die Aktentasche. Die alten Mappen fallen heraus. Nichts ruft die Erinnerung an den Weihnachtstag vor elf Jahren stärker zurück als diese alten Mappen. Irgendwie riechen sie immer noch nach Chesterfields.
    Auch Suttons Erinnerungen fallen heraus, beide Bücher. Mit Farbmarkierungen, Unterstreichungen, gespickt mit Schreibers Klebezetteln. Das erste Buch,
Glatt und tödlich
, kam 1953 heraus. Er wusste nichts davon, bis dann 1976 das zweite erschien.
Wo das Geld lag
. Sutton schrieb es, nachdem die Verleger seinen im Gefängnis geschriebenen Roman abgelehnt hatten.
    Schreiber zog Sutton oft wegen des Titels auf. Mr Sutton, sagte er – das wird ein totaler Verkaufsschlager.
    Sutton kicherte. Ich sag dir jetzt was, das ich in meinem ganzen Leben noch nie gesagt habe. Schuldig.
    Schreiber sitzt auf dem Hotelbett und denkt an den Mann am Empfang.
Ach so. Ich habe davon gehört. Traurig
. Ja, traurig, allerdings lebte Sutton noch elf Jahre länger als erwartet, elf Jahre länger, als er Ärzten, Journalisten, der Bewährungskommission – und sich selbst – glauben gemacht hatte. Suttons endgültige Un-Fassbarkeit, die Krönung seiner Trickserei war es, immer weiter zu leben und zu leben. Tatsächlich war sein Lebenswille einer der vorrangigen Gründe, warum Schreiber ihn entgegen jedem beruflichen Instinkt und jeder persönlichen Vorsicht im Laufe der Jahre ins Herz schloss.
    Bevor sie Freunde wurden, musste Schreiber Sutton allerdings erst verzeihen, dass er an jenem Weihnachtstag den Polara der Zeitung geklaut hatte. Nachdem er seine Geschichte in einem Café in der Nähe von Schusters Haus durchgegeben hatte, verfolgte Schreiber Sutton und den Polara zur Plaza zurück. Sutton saß an der Hotelbar, trank einen Jameson, entschuldigte sich überschwänglich und erklärte Schreiber, er käme einfach nicht über seine Schuld wegen Schuster hinweg. Schreiber akzeptierte diese Entschuldigung, und sie gaben sich die Hand.
    Wie geht es Böser Cop?, fragte Sutton.
    Ich will ehrlich sein, Mr Sutton. Nächstes Jahr sollten Sie nicht mit einer Weihnachtskarte rechnen.
    Darüber mussten beide herzhaft lachen.
    In den elf folgenden Jahren telefonierten Schreiber und Sutton gelegentlich, und wenn Sutton nach Manhattan kam, trafen sie sich zum Abendessen. Danach zogen sie sich oft auf einen Schlummertrunk ins P. J. Clarke’s zurück. Schreiber genoss es, mit Sutton, dem erfolgreichsten Bankräuber Amerikas, zwischen Bankern und Wallstreetlern an Clarkes Bar zu sitzen. Dort sinnierte Sutton, reichlich angetrunken, an einem Herbstabend 1970 laut vor sich hin: Ich glaube, Amerika ist so, wie es ist, weil es als einziges Land der Welt wegen einem Streit um Geld gegründet wurde. Als Schreiber die Klimaanlage jetzt noch höher dreht, kommt ihm der Gedanke, dass Sutton am Ende eine wandelnde Verkörperung Amerikas war. Unter all dem Größenwahn, all dem Gepolter, all dem Fehlverhalten, ob eingestanden oder nicht, war etwas unbeirrbar Gutes. Unbedingt Bewahrenswertes.
    Und entschieden Optimistisches. Auch wenn Sutton vieles bedauerte, betonte er doch immer das Positive und bekundete eine rührende Dankbarkeit dafür, dass er seine letzten Jahre in Freiheit und Frieden verbringen konnte. Aber Schreiber erinnert sich auch an ein düsteres Telefonat. Im September 1971 , der Nacht der blutigen Unruhen in Attica. Sutton kannte viele der dreiundvierzig Opfer und behauptete, er hätte die Unruhen kommen sehen. Ich wusste es, sagte er immer wieder. Ich wusste, es würde so weit kommen. Und wenn dieser verfluchte Rockefeller mich damals nicht rausgelassen hätte, wäre ich mit diesen Männern umgekommen, in die Knie gezwungen in Hof D. Das weiß ich genau.
    Und woher wissen Sie das?
    Ich weiß es eben. Aus dem Bauch heraus.
    Nachdem sie aufgelegt hatten, konnte Schreiber nicht schlafen. In Suttons Stimme hatte etwas Seltsames mitgeschwungen. Er war nicht nur erschüttert wegen der toten Männer in Hof D oder wie knapp er dem Tod entwischt war. Es beunruhigte ihn auch zutiefst, dass er Rockefeller Dank schuldig war.
     
    Zwei Jahre vor Suttons Tod traf Schreiber ihn in einem Fernsehstudio in Midtown, wo er einen Beitrag für die Dick Cavett Show aufnahm. Sutton trug einen wunderschönen grauen Anzug zu einer roten Krawatte mit Windsorknoten. Während Schreiber in der

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