Knapp am Herz vorbei
kleine Backe, und schon singt er wie Al Jolson. Außerdem glaube ich, dass er mich beklaut. Er muss unbedingt abserviert werden. Pass auf. Ich geb dir seinen Namen. Ich schreib ihn dir auf diesen Zettel. Ich schreib dir auch den Namen von der Kneipe auf, die ihm gehört. Geh hin und sag ihm guten Tag, schau ihn dir genau an. Aber verrat ihm nicht, dass ich im Bilde bin. Gib Bescheid, ob du interessiert bist.
Willie streift durch Philadelphia und starrt den Papierfetzen an, auf dem in Boo Boos rundlicher Handschrift steht: Hughie McLoon. Willie versucht sich McLoon vorzustellen, aber ihm fallen ständig die kleinen Männchen aus Daddos Geschichten ein. Seitdem hat er Angst vor kleinen Männern. Aber er braucht einen Job. Was würde Ben Franklin tun, wenn das Kaltmachen eines Zwergs die einzige Möglichkeit wäre, um glücklich zu sein?
Gegen Abend merkt Willie, dass er an der Kreuzung Tenth und Cuthbert vor Hughie McLoons Dry Saloon steht. Er zwingt sich, hineinzugehen und sich zu setzen. Er bestellt einen Whiskey und fragt nach Hughie. Wer will ihn denn sehen? Ein Freund von einem Freund. Er kommt später vorbei. Willie bestellt noch einen Whiskey. Dann einen Teller Schildkrötensuppe. Gegen elf schwebt ein Hut entlang der Bar in seine Richtung, wie die Rückenflosse eines trägen tropischen Fischs. Sie wollten mich sprechen?, fragt der Fisch.
Willie hüpft von seinem Hocker. Mr McLoon? Hallo, ich bin Sutton. Willie Sutton. Boo Boo Hoff schickt mich. Er meint, Sie hätten vielleicht einen Job für mich.
Hughie mustert Willie von Kopf bis Fuß. Oder eher von der Hüfte bis zum Fuß. Ach ja? Hnh. Schön, schön, willkommen im Dry Saloon, Kleiner. Ich lade dich zu einem Drink ein.
Hughie ist etwa so alt wie Willie, aber nur zwei Drittel so groß. Er kann keine eins fünfundzwanzig sein. Aber er ist nicht nur klein, sondern auch völlig unproportional. Die Stirn ist zu groß für das Gesicht, der Hut ist zu groß für den Kopf – die Stimme zu hoch für den Mund. Er klingt wie eine zu schnell gespielte Josephine-Baker-Platte.
Er versucht auf den Barhocker neben Willie zu hüpfen. Fehlanzeige. Er braucht Hilfe und scheut sich nicht, darum zu bitten. Wie eine Debütantin beim Figurentanz legt er seine Handfläche auf Willies.
Trotz Willies Aufgeregtheit und trotz Hughies verstörender Erscheinung verstehen sie sich gut. Hughie ist, wie sich herausstellt, ein guter Gesellschafter. Er liest Zeitung, macht sich viele Gedanken über Tagesgeschehen und Politik. Natürlich unterstützt er Al Smith, den ersten irischen Katholiken, der als ernsthafter Kandidat für die Präsidentschaft in Frage kommt. Aber er mag auch Coolidge und ist überzeugt, dass Coolidge als einer der besten Präsidenten in die Geschichte eingehen wird.
So ein Miesepeter, sagt Willie.
Ach was, sagt Hughie und macht eine wegwerfende Handbewegung. Der stille Cal ist bloß ernst, mehr nicht. Ich mag das. Das Leben ist ernst. Cal will, was er will, und wem das nicht passt, der kann seinen verdammten Vermontarsch küssen. Und Cal will, dass du reich wirst.
Ich?
Du, ich, alle. Cal verschafft den Geschäftsleuten mehr Freiheiten, damit wir tun können, was wir tun müssen. Für mich ist er seit 1919 mein Mann. Damals hat er den Bostoner Cops Paroli geboten. Und mir ist jeder Mann recht, der den Cops Paroli bietet. Das meinst du doch auch, oder?
Hughie bricht in Gelächter aus. Es klingt komisch – wie ein Maschinengewehr. Ein paar abgehackte Salven, dann unheilvolles rauchiges Schweigen. Willie bemüht sich, möglichst ernst zu bleiben.
Sie kommen auf Baseball zu sprechen. Wie Willie ist Hughie ein Fan. Er stößt ihm einen Daumen von der Größe einer Babykarotte in die Brust.
Ich hab selber mal gespielt, sagt er.
Tatsächlich?
Ich war Batboy für die A’s. Mit vierzehn. Damals war ich selber dünn wie ein Schläger. Was meinen Buckel noch größer hat wirken lassen. Eines Tages spielen wir gegen Detroit. Und Ty Cobb marschiert in Richtung Homeplate. Plötzlich bleibt er stehen und guckt mich böse an. Und bevor ich weiß, was los ist, reibt er meinen Buckel, des Glückes wegen. Die Fans fangen an zu lachen, alle anderen Tiger lachen. Sogar mein eigenes Team lacht. Und natürlich schafft Cobb ein Triple. Er macht insgesamt vier Hits an diesem Tag. Und du weißt ja, wie abergläubisch Baseballer sein können. Von da an muss jeder Spieler meinen Buckel reiben. Des Glückes wegen. Die haben mir praktisch die Haut abgerubbelt.
Willie mustert
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