Knapp am Herz vorbei
Hughie eine Weile. Armes kleines Kerlchen, denkt Willie. Er sollte sich mal lieber selber am Rücken reiben, wo sein Glück gerade am Auslaufen ist.
Hughies Lieblingsthema sind Frauen. Angeblich ist er verrückt nach Mädchen, und die Mädchen sind doppelt so verrückt nach ihm. Sie heben ihn gern hoch, knuddeln ihn, kraulen ihn unterm Kinn. Er ist ein kleiner Valentino, behauptet er, kann es aber nicht genießen, weil sein Herz einer eiskalten Schlampe gehört.
Einmal in der Woche kommt sie vorbei, sagt Hughie verdrießlich. Mit ihrem Mann. Sie hat langes rotes Haar, ungefähr eins fünfundsiebzig ohne Schuhe. Sie ist mein Everest. Ich will nicht weiterleben, wenn ich es nicht zum Gipfel schaffe.
Und deine Flagge setzt.
Genau.
Hast du ihr gesagt, was du für sie empfindest?
Dauernd sag ich ihr das. Dauernd sag ich ihr, dass ich der glücklichste Mann der Welt wäre, wenn sie mich lieben würde. Aber sie liebt mich nicht. Sie sagt, ich bin süß und sie hätte mich gern als Anhänger an ihrem Armband. Ist das nicht ein Schlag unter die Gürtellinie?
Hughie ist betrunken. Willie ebenfalls. Nach der letzten Runde torkeln sie Arm in Arm nach draußen und wünschen sich auf dem Gehsteig eine liebe gute Nacht. Bevor Hughie davonwatschelt, sagt er noch, Willie soll am nächsten Morgen wegen des Jobs vorbeikommen. Willie sieht den Buckel langsam in die Dunkelheit entschwinden und torkelt dann in die andere Richtung. Er torkelt weiter, bis er eine Absteige für zwei Dollar findet. Noch in Kleidern fällt er auf das schmutzige Bett, und noch vor dem Einschlafen wird ihm klar, dass er Hughie nicht töten kann. Er schämt sich, es zuzugeben, aber er kann niemanden töten, schon gar nicht Hughie.
Aber er kann Hughie auch nicht warnen. Wie er dem Bewährungsausschuss sagte: Er weiß, wer Willie Sutton ist und wer er nicht ist. Er dachte kurz, er könnte vielleicht ein Killer sein, aber er weiß, er ist kein Verräter.
Es schneit leicht, als der Polara am Yankee Stadium losfährt. Knipser schaltet die Scheibenwischer ein. Schreiber schaltet das Radio auf Mittelwelle ein. Nachrichten. Der Sprecher klingt, als hätte er zu viel Kaffee getrunken. Und eine Linie Koks gezogen. Das Tickern des Fernschreibers im Hintergrund hilft seinen strapazierten Nerven auch nicht gerade.
Unser aktuelles Tagesthema: Willie the Actor Sutton ist seit heute ein freier Mann. Gestern Abend begnadigte Gouverneur Rockefeller den achtundsechzigjährigen Erzverbrecher. Unbekannt ist, wo der produktivste Bankräuber in der amerikanischen Geschichte Weihnachten verbringt. Und jetzt zum Feiertagsverkehr …
Schreiber und Knipser sehen einander an, schauen auf den Rücksitz. Sutton lächelt verlegen. Erzverbrecher, sagt er und schaut aus dem Fenster – die Bronx. In der Ferne sieht er ein brennendes Gebäude. Flammen schießen aus dem oberen Geschoss. Wo ist die Feuerwehr? Auf einem leeren Gelände an der Straße werfen ein paar Jungs einen Football. Kragenlose Hemden, kaputte Schuhe. Keine Turnschuhe, keine Stollenschuhe – aber alte Anzugschuhe? Ein Penner liegt schlafend in der Endzone.
Vom Norden ziehen dunkle Wolken heran.
Als ich aus Dannemora entlassen wurde, sagt Sutton, im Sommer 27 , konnte ich keine Arbeit finden.
Trotz der goldenen Zwanziger?
Alle glauben, dass die zwanziger Jahre golden waren. Dass die Leute über Nacht reich wurden, der ganze F.-Scott-Fitzgerald-Schwachsinn, aber lasst euch von Willie sagen, das Jahrzehnt hat mit einer Depression angefangen und mit einer Depression aufgehört, und dazwischen gab es viele nervenaufreibende Tage. Ein paar Leute haben in Saus und Braus gelebt, aber allen anderen stand das Wasser bis zum Hals. Die Zeiten waren hart, und sie sollten noch schlimmer werden. Ein Crash war im Anmarsch, man konnte es spüren. Natürlich stimmt das immer. Willst du ein Prophet sein? Ein verdammter Nostradamus? Dann sag einen Crash voraus. Damit liegst du nie falsch.
Schreiber breitet die Karte aus. Unser nächster Halt ist Madison und Eighty-Sixth. Was ist dort passiert, Mr Sutton?
Dort hat Willie endlich eines der beiden schönsten Dinge gefunden, die ein Mann finden kann. Arbeit.
In einer Telefonzelle bei Penn Station ruft Willie Boo Boo an. R-Gespräch. Er sagt, er kann den Job nicht machen. Wie du willst, sagt Boo Boo. Viel Glück!
Klick.
Willie geht zu einem Kiosk, kauft sämtliche Zeitungen, faltet sie unter seinem Arm zu einem dicken Bündel und geht zum Times Square. Dort mietet er
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