Knapp am Herz vorbei
ein Zimmer in einem schäbigen Hotel und geht zwei Tage lang die Stellenangebote durch. Busfahrer – Erfahrung. Grillkoch – Erfahrung. Kinderbetreuer – Erfahrung, Referenzen, Leumundsprüfung.
An den Rändern eines Anzeigenteils entwirft er einen Brief an Bess, bis ihm der Platz und die Worte ausgehen. Er wirft die Zeitung beiseite.
Als er am dritten Tag losgeht, um etwas zu essen und die Abendzeitungen zu holen, huscht er in eine Flüsterkneipe. Er bestellt ein Bier, schlägt die Zeitung auf. UNTERWELTMORD IN PHILADELPHIA . Laut Polizeibericht wurde Hughie McLoon, ortsansässiger Gastwirt, auf der Straße niedergeschossen et cetera. Willie schaudert. Er stellt sich Hughies Maschinengewehrlachen vor, das von einer echten Knarre abgeschnitten wird. Er spürt einen Anflug von Schuldgefühlen, sagt sich aber, dass er nichts hätte tun können.
Er blättert zu den Stellenangeboten. Tellerwäscher – Erfahrung erforderlich. Bratkoch – Referenzen. Landschaftsgärtner – hmm.
Kleine Firma in Upper East Side sucht Mann. Kenntnisse über Stauden und Blumen erforderlich. Funck and Sons. Fragen Sie nach Mr Pieter Funck.
Willie geht zum Drugstore an der Ecke und kauft eine Dose Schuhcreme. Er poliert sein einziges Paar Schuhe auf Hochglanz, hängt den Entlassungsanzug ordentlich über den Stuhl, haut sich in die Falle.
Im ersten Morgengrauen steht er auf, frühstückt mit Wasser aus der Leitung und geht zu Fuß vierzig Blocks uptown. Die Adresse ist 42 East Eighty-Six. Ein altes Backsteingebäude. Im zweiten Stock findet er eine Tür mit Mattglasscheibe und dem schablonierten Namen FUNCK . Der augenscheinliche Besitzer sitzt hinter einem Schreibtisch, auf dem eine Addiermaschine und ein Aschenbecher stehen. Und mehrere Pornohefte, von denen er eines durch ein Vergrößerungsglas studiert.
Pieter Funck?
Was wollen Sie?
Ich bin hier wegen der Stelle.
Setzen Sie sich.
Funck verstaut das Heft. Willie setzt sich auf einen Holzstuhl. Das Büro riecht angenehm nach Blumenerde und Heu. Ich will ehrlich sein, sagt Funck – keine Söhne.
Wie bitte?
Funck and Sons, ich habe keine Söhne. Ich dachte
and Sons
verleiht dem Geschäft mehr Klasse, aber Mrs Funck kann keine Kinder kriegen, jetzt wissen Sie’s also, und ich will nicht, dass Sie mich später fragen, wo die Söhne sind, und mich einen Lügner nennen. Ich kann alles überall pflanzen, nur kein Baby in Mrs Funck.
Funck, ungefähr vierzig, dick und schwammig wie ein Pilz, redet so etwas wie Englisch. Er sagt, er sei vor acht Jahren von Amsterdam nach Amerika gekommen und könne immer noch nicht flüssig sprechen. Ist nicht möglich, würde Willie gern sagen. Er flicht seine Worte nicht nur seltsam zusammen, er steckt sie auch so verquer in seine Sätze, dass oben die Wurzeln rausschauen. Und dennoch geht manchmal eine Stilblüte auf. Fachmann für Landschaftsbau sei er in Holland geworden, und neben Tulpen kenne er sich besonders gut mit Veilchen aus.
Schließlich nimmt das Gespräch die von Willie gefürchtete Richtung. Funck erkundigt sich nach Willies jüngster Vergangenheit. Willie atmet reinigend durch. Ich will ehrlich sein, Mr Funck. Ich war die letzten vier Jahre im Gefängnis.
Um das unvermeidbare Schweigen zu überbrücken, platzt Willie heraus, auch er kenne den Landschaftsbau gut, allzu gut, und mit Veilchen hätte er auch seine Erfahrung. Außerdem hätte er viel von einem Mithäftling gelernt, Charles Chapin.
Dem Redakteur?, fragt Funck.
Willie nickt.
Funck lehnt sich auf seinem quietschenden hölzernen Schreibtischstuhl zurück. Aus seiner Hemdtasche ragt eine Reihe Zigarren, alle verschieden groß, wie eine Zigarren-Skyline. Ach, was Sie nicht sagen, meint er. Den Chapin-Fall hab ich sehr genau verfolgt.
Nun, ich muss sagen, er ist ein sehr interessanter Mann. Seine Gärten sind –
Ich frage mich immer, wie viele Männer von dem träumen, was Chapin getan hat. Dazu gehört wirklich Mumm, nicht wahr? Die Alte einfach kaltzumachen? Wie viele Abertausende Männer, glauben Sie wohl, betrachten ihre schlafende Frau und malen sich aus, eine kleine Kugel in ihr Hirn zu pusten? Dann ist die Nörgelei für immer vorbei, nicht wahr?
Heb ik gelijk?
Was können Frauen bloß
nörgeln
, hab ich recht? Dauernd wollen sie was, aber wenn
du
was willst, sagen wir, ein bisschen Gewogenheit, Pusteblume. Sie müssen ja nörgeln.
Willie rückt seine Krawatte zurecht, zupft sich am Ohr, konzentriert sich auf einen Punkt an der Wand hinter Funcks
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