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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Kopf. Mrs Funck, denkt er, sollte keine Zukunftspläne mehr machen.
    Funck blättert eine Kartei durch und sagt, er hat genau das Richtige für Willie. Samuel Untermyer. Berühmter Anwalt. Schon mal von seinem Haus in Yonkers gehört?
    Nein, Sir.
    Greystone heißt es. So was haben Sie noch nicht gesehen. Ein Garten Eden. Man braucht haufenweise Männer, um alles bellopico zu halten, deshalb engagiert Untermyer viele Firmen, uns eingeschlossen. Ich schicke alle zwei Tage einen Trupp hin, und heute fehlt mir ein Mann. Er hat einen Bruch. Sie nehmen seinen Platz ein. Morgen früh um vier, wenn Sie zu spät kommen, sind Sie gefeuert.
     
    Knipser schaut aus dem hinteren Fenster, wechselt die Spur und versucht vom Highway abzufahren. Er schaut in die Wolken. Hey, Willie? Könnten wir nicht schnell mal eben zum Schauplatz des Schuster-Mordes fahren? Solange das Licht noch gut ist.
    Du und dein Licht.
    Im Augenblick ist das Licht ideal, Willie. Sehen Sie doch. Sehen Sie sich den Himmel an, Mann.
    Hast du bisher noch nichts von Willie gelernt? Jeder schafft sich in dieser Scheißwelt sein eigenes Licht.
     
    Am ersten Tag ist Willie eine Stunde zu früh dran. Er hat ein Taschentuch bei sich, einen im Müll gefundenen Apfel und eine abgegriffene Cicero-Ausgabe. Er trägt den Anzug aus dem Gefängnis.
    Funck wirft die Hände in die Luft. Ein Anzug? Jesus Maria! Greystone ist doch kein französischer Garten.
    Das sind meine einzigen Kleider, sagt Willie.
    Funck leiht Willie einen grauen Overall, Gartenstiefel, einen Hut. Willie klettert auf die Ladefläche von Funcks Transporter, der aussieht, als wäre er aus Pappkartons und Pastetenformen zusammengestückelt. Auf einer Holzbank sitzen vier weitere Arbeiter. Keiner grüßt. Eine Stunde später, die Sonne geht gerade auf, rollt der Transporter durch das Eingangstor von Greystone, und Willie kann nicht anders – er schnappt nach Luft. Funck hat gelogen. Dies ist kein Garten Eden. Gegen diesen Garten ist Eden wie Irish Town. Da sind griechische Tempel, römische Statuen, Marmorrotunden, Brunnen mit plätscherndem silbrigem Wasser und leuchtend bunten Kacheln. Dunkelgrüne Teiche getüpfelt mit Seerosenblättern und stille Teiche von klarem Blau. Wahrscheinlich sind alle Blumen und Bäume der Welt mit einem Exemplar vertreten und ebenso Hecken und Sträucher, getrimmt in den verschiedensten Größen und Formen. Und der krönende Abschluss, der dem Garten einen Hauch von Drama verleiht, ist eine steile Klippe, die jäh in den majestätischen Hudson stürzt.
    Der Vorarbeiter ist ein Hüne mit einem Kropf groß wie ein Rettich. Er lässt Willie mulchen und rechen. Willie kommt schnell ins Schwitzen. Es tut gut, die Muskeln wieder zu benutzen und schwer zu schnaufen. Froh, wieder eine Arbeit zu haben, pfeift er leise vor sich hin. Bis ihn der Arbeiter zu seiner Rechten unterbricht.
    Der Vorarbeiter ist ein Arschloch, sagt der Arbeiter.
    Ach ja?, erwidert Willie.
    Mach dich bei dem nicht unbeliebt. Er feuert dich für nichts und wieder nichts. Kranke Frau? Krankes Kind? Ihm egal.
    Okay. Danke für die Warnung, Freund.
    Schönes Fleckchen, wie?
    Ja. Herrlich.
    Weißt du, wie viele Rhododendren es in diesem Laden gibt?
    Nein.
    Dreißigtausend. Weißt du, wie viele Tulpen?
    Nein.
    Fünfzigtausend.
    Tatsächlich?
    Weißt du, wie viele Kamine?
    Mm-m.
    Elf. Einer ist aus Rubinen und Smaragden.
    Wirklich?
    Weißt du, warum der alte Untermyer die Gärten gebaut hat?
    Kann ich nicht behaupten.
    Für seine Alte. Er war schwer verliebt. Aber dann ist sie abgenibbelt, bevor alles fertig war. Jetzt lebt der alte Untermyer ganz allein hier.
    Traurig.
    So ist das Leben.
    Der Arbeiter zeigt auf einen gewundenen Pfad, der zu einer offenen Gartenlaube am Rand der Klippe führt. Mr Untermyer nennt das den Tempel der Liebe.
    Jetzt klinkt sich der Arbeiter links von Willie ein. Hör nicht auf den Ganoven, der quatscht dummes Zeug. Die Gärten sind nicht bloß für Mrs Untermyer. Der alte Untermyer wollte auch seine Nachbarn übertrumpfen, die Rockefellers. Da drüben ist ihr Anwesen. Mr Untermyer hasst die Rockefellers noch mehr als Kaninchen.
    In der Mittagspause verteilt der Vorarbeiter Zwiebelsandwiches, Brot, eine Tasse dünne Gemüsesuppe. Willie nimmt sein Essen und erklimmt den Tempel der Liebe. Er setzt sich auf eine grüne Eisenbank. Zu seiner Linken sind die Gärten, zu seiner Rechten der Fluss. Auf dem Tempelboden zu seinen Füßen tummeln sich pastellfarbene Nymphen und Nixen, die sich

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