Knight 02 - Stuermisches Begehren
bitten. Neugierig be- trat sie das Cottage und fand sich prompt einem gebrechli- chen alten Mann gegenüber, der in einem Sessel saß, eine Brille trug und sie scharf musterte.
„Mr. Whitby, darf ich Ihnen Miss Alice Montague vorstel- len, die Tochter von Baron Glenwood. Miss Montague, es ist mir eine große Freude, Sie mit dem Helden meiner Kindheit bekannt zu machen, meinem geschätzten Hauslehrer Mr. Seymour Whitby.“
Alice knickste. „Guten Tag, Sir.“
Mit großer Anstrengung kämpfte er sich hoch, sich auf sei- nen Stock stützend. Alice wollte schon Einwände erheben, weil er bei ihrem Eintritt aufstand, aber Lucien fasste sie am Arm und schüttelte den Kopf. Es drückte ihr das Herz ab, als sie erkannte, dass ein Gentleman immer ein Gentleman blieb, und wenn er hundert Jahre alt war. Sie ging zu dem al- ten Mann und stützte ihn unter dem Vorwand, ihn zu begrü- ßen. Er drückte ihr die Hand, wobei er sich schwer auf sie lehnte.
„Ich freue mich, Sie kennen zu lernen“, sagte sie warmher- zig.
Er hob das Kinn und warf ihr einen scharfen Blick zu. Langsam verzog sich sein Mund zu einem herzlichen Lä- cheln. „Mein liebes Kind, Sie sind ebenso freundlich, wie Sie hübsch sind. Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten? Ich fürchte, dass meine Haushälterin gerade in der Kirche ist, aber ich denke, wir kriegen das schon hin – so schließen Sie doch die Tür, Master Lucien.“
„Verzeihung“, murmelte Lucien mit einem jungenhaften
Lächeln und machte die Tür zu.
„Das versuche ich dem Burschen nun schon seit vierund- zwanzig Jahren beizubringen“, erklärte Mr. Whitby augen- zwinkernd. „Mathematik, Griechisch – das meistert er ohne Probleme, doch er will einfach nicht lernen, die Tür zuzuma- chen.“
Alice lachte und schaute Lucien an, durchaus angetan von dem, was sie da hörte.
„Mr. Whitby war in der wenig beneidenswerten Position, mich und meine Brüder unterrichten zu dürfen, bevor wir ins Internat gingen“, erläuterte Lucien.
„Was für eine Aufgabe!“
„Herakles hatte seine zwölf Arbeiten, ich meine fünf jun- gen Knights.“
Sie lachte entzückt. „Ich freue mich schon darauf, mir von Ihnen darüber erzählen zu lassen, aber setzen Sie sich doch bitte! Eine Tasse Tee wäre jetzt genau das Richtige – bitte er- lauben Sie, dass ich ihn zubereite. Ich bestehe darauf. Wir haben Ihnen Milchbrötchen und Sandkuchen mitgebracht, und Ihr Schüler hat ein paar Bücher für Sie dabei. Möchten Sie ein Kissen, Mr. Whitby? Lucien, reichen Sie mir das Kis- sen vom Sofa. Und rücken Sie den Sessel näher ans Feuer.“ Wie geheißen, schob er den Stuhl zurecht und gab ihr das Kissen. Sie stopfte es dem alten Herrn in den Rücken, als der sich wieder in seinen Sessel sinken ließ.
„Ach je, machen Sie sich doch keine Umstände“, protes- tierte Mr. Whitby, entzückt von dem Aufwand, den sie mit ihm trieb.
Lucien begegnete ihrem Blick und sah sie voll tief empfun- denem Dank an. Dann schob er einen Polsterschemel neben den Sessel, setzte sich darauf und packte die Bücher aus. Während die Männer über die Bücher diskutierten, begab Alice sich in die Küche, wo sie einen großen Wasserkessel auf dem schwach glühenden Herdfeuer vorfand, wie sie es von einer fähigen Haushälterin erwartet hätte. Sie nahm den Blasebalg und fachte das Feuer an, um das Wasser zum Ko- chen zu bringen. Caro hätte diese Aufgabe für weit unter ih- rer Würde befunden, aber Alice machte es nichts aus. Sie hatte Spaß daran, für andere zu sorgen.
„Was für ein Sturm letzte Nacht“, sagte Lucien gerade zu dem alten Herrn, als sie in den Salon trat, um die Teebüchse
zu holen.
„Der Wind hat bei mir einen Fensterladen losgerissen“, er- widerte Mr. Whitby.
„Wirklich? Wo denn?“
„Hier, im Salon. Mrs. Malone hat ihn heute Morgen an die Hauswand gelehnt.“
Lucien stand auf. „Ich befestige ihn wieder.“
Mr. Whitby protestierte, doch Lucien winkte ab.
Alice lächelte ihm anerkennend zu. „Der Tee ist bald fer- tig.“
„Ich bin gleich wieder da.“ Er schenkte ihr ein Lächeln, das sie bis ins Innerste erwärmte, und schloss beim Hinaus- gehen die Tür hinter sich. Sie wurde sich ihrer roten Wangen und des leisen Lächelns auf ihren Lippen erst bewusst, als sie Mr. Whitbys Blick auf sich ruhen spürte.
„Nun, das ist ja alles überaus eigenartig“, meinte der alte Herr und schaute sie über seine Brillengläser hinweg an.
„Was denn, Sir?“ Sie versuchte ihre Verlegenheit
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