Knight 02 - Stuermisches Begehren
tropfende Regen hallte weich in der großen Höhle wider, ein regelmäßiges, beruhigendes Geräusch. Obwohl sie schon in der Grotte ge- wesen war, wirkte sie auf sie diesmal ganz anders.
Ihr kam es so vor, als hätte sie, nachdem sie den unterirdi- schen Tunnel verlassen hatte, eine vollkommen neue Welt betreten, die der alten zwar ähnelte, aber doch vollkommen neu war – oder vielleicht betrachtete sie sie nur mit neuen Augen. Das hier ist keine Grotte des Bösen, sondern eine Höhle geheiligter Mysterien, dachte sie, während ihr Blick über den kunstvoll gearbeiteten Drachen und die hohen ko- rinthischen Säulen schweifte.
Sie betrachtete Lucien, der soeben die Kerzen in einem hohen Metallkerzenständer entzündet hatte. Er brachte den Kandelaber herüber und stellte ihn neben den heißen Quel- len ab.
„Was machen Sie da?“ fragte Alice vorsichtig.
„Ähm, wie soll ich es taktvoll ausdrücken?“ Er zog sich nachdenklich die Lederhandschuhe aus. „Meine liebe Miss Montague, Ihnen klappern die Zähne. Sie haben die letzte halbe Stunde nur gezittert, Sie haben sich an der Schulter verletzt, und Sie sind von oben bis unten voller Matsch. Sie, meine Liebe, gehen jetzt baden.“
Sie riss die Augen auf, starrte auf das große Becken in der Grottenmitte und dann wieder auf ihn. „Etwa da drin?“
„Genau da.“
„Aber, Lucien ...“
„Es empfiehlt sich einfach, Alice. Ich lasse nicht mit mir reden. Die heiße Quelle hier hat dieselben Heilkräfte wie die in Bath. Und jetzt ziehen Sie die nassen Kleider aus, bevor Sie sich noch den Tod holen – und sehen Sie zu, dass Sie Ih- re Wunden säubern. Ich überlasse Sie jetzt sich selbst und hole Ihnen Seife, Handtücher und trockene Sachen. Sie ha- ben ja wohl ein Kleid zum Wechseln mitgebracht, oder? Die Zofe wird schon wissen, was Sie von Ihren Sachen brau- chen.“ Er drehte sich um und ging entschlossen davon.
„Aber, Lucien.“
Als er stehen blieb und zu ihr zurückschaute, war die na- gende Sehnsucht in seinem Blick nicht zu verkennen. „Was denn?“ fragte er ungeduldig.
Sie bemerkte, dass auch er zitterte. „Ich bin nicht sicher, ob ich das tun sollte“, sagte sie bestürzt.
„Seien Sie vernünftig, Alice. Aber es bleibt natürlich Ih- nen überlassen.“ Damit ließ er sie allein.
Sie biss sich auf die Lippen und blickte zum Becken hinü- ber, uneins mit sich. Die heißen Quellen waren wirklich un- glaublich verlockend, wie sie da vor sich hin dampften. Die Alternative war ein lauwarmes Sitzbad in ihrem Schlafzim- mer, bei dem sie nicht einmal den Schlamm aus ihren Haa- ren bekäme. Sie betrachtete sich und verzog das Gesicht. Sie war triefnass, ganz zerschlagen, und sie fror erbärmlich. Der Schlamm an ihren Kleidern und Schuhen war festge- trocknet. Vermutlich würde es eine halbe Stunde dauern, bis die Dienstboten Wasser erhitzt und die Badewanne ge- füllt hätten, und bis dahin hätte sie dann wirklich Schüttel- frost.
Sie zog die Handschuhe aus und ging zaudernd zu den in den Felsen gehauenen Stufen, die ins Becken führten. Sie schaute sich in der dunklen, verlassenen Grotte um, als würde sie von ihrer Mutter oder ihrer strengen ehemaligen Gouvernante beobachtet, die sie schon für den bloßen Ge- danken ausschelten würden. Alice bückte sich und tauchte prüfend die Finger ins Wasser. Es fühlte sich herrlich an, warm und belebend.
Nun, ich will nicht krank werden, überlegte sie. Mit ver- stohlener Hast legte sie die Kleider ab, damit Lucien, wenn er zurückkam, nicht mehr sah, als er sehen sollte. Sie
schlüpfte aus seinem schweren Mantel und ihrer pelzbesetz- ten Pelisse und knöpfte mit zitternden Händen das Mieder ihres Reisekleides auf. Sie kämpfte sich aus den feuchten Ärmeln und ließ Kleid und Unterrock zu Boden gleiten. Dann streifte sie die Schuhe ab.
Schließlich legte sie noch Strumpfband und Strümpfe ab, untersuchte die blutige Wunde am Knie und tauchte dann, nur noch im ärmellosen weißen Hemd, den Zeh ins Wasser. Ach, wie herrlich, dachte sie wohlig. Nun zögerte sie nicht länger; sie stieg die Stufen hinunter, hinein in das warme, sprudelnde Wasser in dem luxuriösen Becken. Der Schein der Kerzen spiegelte sich im Wasser vorn an den Stufen, aber die Dunkelheit weiter hinten machte sie nervös.
Als sie die unterste Stufe erreicht hatte, war das Wasser etwa vier Fuß tief. Sofort spürte sie die wohltuende Wir- kung; sie fühlte sich von Kopf bis Fuß entspannt, schwere- los, umschmeichelt. Erleichtert
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