Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Außerdem hatte er Kratzer, eine Platzwunde am Kopf und gebrochene Rippen und überall blaue Flecke, wie nach einem Treppensturz eben. Und dann war, wie ich schon sagte, Blut auf den Stufen und auch unten im Keller.«
Peggy Stanton hat personalisierte, mit naiver Kunst gestaltete Schecks verwendet. Die Darstellung eines Backsteinhauses mit weißem Lattenzaun, an dem gerade eine Pferdekutsche vorbeifährt, erinnert an
Americana
von Charles Wysocki.
»Alles wies auf einen Sturz hin. Also habe ich keinen Grund gesehen, in einem alten Werkzeugkasten rumzukramen«, spricht Machado weiter. »Ich habe zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht nach etwas Bestimmtem gesucht.«
»Er könnte die Treppe runtergefallen sein, aber vielleicht war er da ja schon verletzt«, betone ich. Inzwischen bin ich noch mehr davon überzeugt, und zwar wegen des Schecks.
Er ist mit schwarzer Tinte handschriftlich ausgefüllt und auf Howard Roth ausgestellt. Der Betrag lautet über einhundert Dollar.
»Ich glaube nicht, dass ihn der Sturz umgebracht hat«, füge ich hinzu. »Er ist an inneren Blutungen und wahrscheinlich an Atemnot gestorben, ausgelöst durch stumpfe Gewalteinwirkung von einer solchen Wucht, dass sich der Brustkorb von der Brustwand gelöst hat. Er weist zwei bis vier Frakturen pro Rippe auf und hat außerdem eine schwere Lungenverletzung.«
In der Betreffzeile des Schecks steht »häusliche Wartungsarbeiten«.
»Hinzu kommt ein Trauma durch stumpfe Gewalteinwirkung am Hinterkopf. Wie konnte er sich das zugezogen haben?«
»Kann das nicht vom Aufprall auf die Betonstufen kommen?«
»Ich habe starke Zweifel«, antworte ich Machado, während wir weiter darauf warten, dass sich der Aufzug aus der oberen Etage zu uns hinunterbequemt. »Insbesondere deshalb, da nun eine Verbindung zwischen ihm und Peggy Stanton besteht.«
»Es ist doch eigentlich ganz einfach. Die Kellertür ist genau neben der Badezimmertür.« Er wird nicht von seiner Theorie abrücken, dass Howard Roth in alkoholisiertem Zustand Opfer eines Unfalls geworden ist. »Ich stelle es mir so vor, dass er mitten in der Nacht aufgestanden ist. Betrunken. Er macht die falsche Tür auf. Ein kleiner Schritt. Ein tiefer Fall.«
In der oberen linken Ecke ist der Name des Kontoinhabers aufgedruckt.
Mrs. Victor R. Stanton.
»Wo war der Werkzeugkasten?«, frage ich.
Auf dem Scheck stehen weder Adresse noch Telefonnummer. Ich mustere ihn eingehend und kann einfach nicht mehr damit aufhören.
»Sie hätten das Haus mal sehen sollen, Doc. Es ist ein altes, heruntergekommenes Loch, sehr klein, eine richtige Bruchbude.«
»Ich muss mir die Fotos vom Fundort anschauen.«
Die Unterschrift lautet
Peggy Stanton,
und es handelt sich nicht um eine sonderlich gute Fälschung.
»Stockfinster, ein Drecksloch«, fährt Machado fort. »Eine nackte Glühbirne und sechs Betonstufen nach unten, mit einem Seil als Geländer. Der Werkzeugkasten stand unten. Wahrscheinlich hat er den Scheck im Werkzeugkasten mit sich herumgeschleppt.«
»Er hat in Cambridge seine Runde gemacht. Vielleicht war er bei ihr, um seinen Lohn zu kassieren. Aber er hat den Scheck nie eingelöst.« Ich drücke wieder auf den Knopf des Aufzugs, der sich immer noch nicht rührt. Offenbar blockiert jemand die Tür.
Meine Ungeduld erinnert mich an Marino.
»Fayth House ist ein Seniorenheim«, sage ich. »Vielleicht sollte man nachprüfen, ob Peggy Stanton sich dort ehrenamtlich engagiert hat. Möglicherweise hat sie ihn so kennengelernt und ihm deshalb genügend vertraut, um ihn hin und wieder bei sich zu Hause arbeiten zu lassen. Einhundert Dollar sind kein Pappenstiel. Wahrscheinlich hat er dafür mehr getan, als nur Laub zu rechen oder die Regenrinne sauberzumachen.«
Ich denke an die mangelhafte Elektroinstallation, die vor kurzem in ihrem Keller durchgeführt wurde. Der Aufzug macht sich quälend langsam auf den Weg nach unten.
»Was wissen wir sonst noch über ihn?«, frage ich.
»Offenbar war er Mechaniker bei der Army. Hat im ersten Irakkrieg gedient und ist dann ziemlich abgestürzt. Er ist mit einer Hirnverletzung nach Hause gekommen. Eine Bombenexplosion. Wurde entlassen, ist wieder in sein Haus in Cambridge gezogen, konnte keinen Arbeitsplatz halten, seine Frau hat ihn vor sieben Jahren verlassen. Danach hat er viel getrunken.«
»Er hatte 1 , 6 Promille«, wiederhole ich, was Luke mir vorhin am Telefon mitgeteilt hat. Unser Gespräch über diesen kritischen Fall war kurz und nicht sehr
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