Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Holzrückstände aus ihrem Auto«, entgegnet er.
»Glauben Sie, die kommen von einem Weinfass?«
»Die gewöhnliche Eiche, also die Weißeiche, wird für die Herstellung von Barriquefässern und außerdem als Quelle für Gerbsäure verwendet, also das Tannin, das Sie im Rotwein finden«, antwortet er. »Wir haben es hier mit weinrot gefärbter Amerikanischer Weißeiche mit Spurenelementen von verbranntem Holz zu tun. Aller Wahrscheinlichkeit rühren sie von einem Prozess her, den man Rösten, also das innere Anbrennen der Dauben eines Weinfasses, nennt. Dazu noch Zuckerkristalle und andere Substanzen wie Vanillin und Lactone.«
»Also Holzchips, die wie Mulch aussehen, aber keiner sind. Weinkeltereien oder andere Betriebe, die Weinfässer verwenden«, überlege ich laut. »Doch nicht die Firma, wo die Fässer selbst hergestellt werden, denn neue Fässer wären nicht verfärbt.«
»Wären sie nicht.«
»Was dann?«
»Es ist wirklich zum Aus-der-Haut-Fahren«, erwidert er. »Ich kann zwar sagen, dass das Zeug offenbar von Weinfässern stammt, allerdings nicht, warum es geschreddert, ja, praktisch pulverisiert ist oder wofür es verwendet wurde.«
Er erklärt, es sei üblich, alte Weinfässer zu zerkleinern, die Chips zu rösten und sie zum Ausbau von Whiskey zu benutzen.
»Aber dazu sind diese Krümel zu klein. Die sind ja fein wie Staub«, fügt er hinzu. »Es sieht auch nicht nach Hobelspänen oder Schleifstaub aus. Doch ich nehme an, dass diese Rückstände von einem Ort stammen, wo alte Weinfässer recycelt oder für irgendetwas anderes wiederverwendet werden.«
Mir ist bekannt, dass man Fässer, die sich nicht mehr für den Ausbau von Weinen eignen, manchmal zu Möbeln verarbeitet, und ich erinnere mich an einige ungewöhnliche Stücke in Peggy Stantons Haus. Zum Beispiel den Tisch im Flur, wo ihr Schlüssel lag, oder den Eichentisch in der Küche. Alles, was ich gesehen habe, war antik und sicher nicht aus alten Weinfässern angefertigt. Es gab auch keinen Hinweis darauf, dass sie Wein gesammelt oder überhaupt welchen getrunken hat.
»Was ist mit den Holzfasern an ihren Fußsohlen und unter ihren Nägeln?«, frage ich. »War es dasselbe Zeug?«
»Amerikanische Weißeiche, rot verfärbt und zum Teil verkohlt«, erwidert er. »Allerdings habe ich weder Zuckerkristalle noch einige der anderen Substanzen entdeckt.«
»Die hätten sich im Wasser gelöst. Ich denke, wir können sicher sein, dass die Rückstände an ihrer Leiche und aus ihrem Auto aus derselben Quelle stammen«, verkünde ich. »Oder besser ausgedrückt, aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Herkunftsort dieser Spuren identisch.«
»Davon würde ich auch ausgehen«, stimmt er zu. »Ich wollte mal bei einigen Keltereien hier in der Gegend nachfragen, ob die vielleicht wissen, wozu man geschredderte Weinfässer braucht …«
»Hier in der Gegend?«, unterbreche ich ihn. »Lieber nicht.«
Sechsunddreißig
Als ich in die sogenannte Kommandozentrale komme, wo sich Experten, Ermittler, Wissenschaftler und Militärärzte persönlich austauschen können, auch wenn sie nicht gleichzeitig anwesend sind, ist es kurz vor vier. Hier führen wir hinter verschlossenen Türen Krieg gegen den Feind, und zwar mit Hilfe hochauflösender Videoaufnahmen und einer Audiowiedergabe in CD -Qualität. Ich erkenne sofort, wer gerade spricht.
Es ist General John Briggs, dessen dunkle, befehlsgewohnte Stimme gerade etwas über einen Flug mit einer Transportmaschine der Air Force im Bundesstaat Washington sagt. Eine C- 130 , fügt er hinzu, und er redet über jemanden, den ich kenne.
»Er ist gerade in McChord gestartet und wird in etwa einer Stunde landen.« Der Chef der Armed Forces Medical Examiner, mein Vorgesetzter, ist in Großaufnahme auf den LCD -Bildschirmen rund um den ergonomisch geformten Computer-Konferenztisch zu sehen.
»Natürlich wird er nicht die Aufsicht führen, sondern nur als Beobachter tätig werden«, ergänzt Briggs. An den dunkelblauen, schalldicht gepolsterten Wänden hängen Tatortfotos, die ich noch nicht kenne. Ein Totenschädel, verstreute Knochen, menschliches Haar.
Ich setze mich neben Benton und gegenüber von Val Hahn, die ein khakifarbenes Kostüm und dazu eine finstere Miene zur Schau trägt. Douglas Burke neben ihr ist ganz in Schwarz gekleidet und würdigt mich keines Blickes. Ich betrachte Briggs’ wettergegerbtes Gesicht auf meinem Monitor, während er erklärt, was die Rechtsmedizin in Edmonton, Alberta, uns zuliebe
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