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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Lahmer
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fast selbst daran glaubten.
    »Natascha? Was ist mit dir?« Lorenz holte sie zurück aus ihren Tagträumen.
    Sie setzte sich auf, fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen dunklen Haare und murmelte: »Es hat ja doch keinen Zweck. Dann bleibe ich eben noch zwei Jahre hier und arrangiere mich mit den Umständen.«
    »Na bitte. Geht doch.«
    Er lächelte. Um seine Augen bildeten sich feine Fältchen, die Mundwinkel zuckten, und die Stirn glättete sich. Plötzlich überkam Natascha Wehmut, als sie daran dachte, dass sie ihren sympathischen Kollegen eigentlich verlassen wollte. Am liebsten hätte sie ihn für dieses Lächeln umarmt.
    »Magst du gleich mit mir in die Kantine kommen? Mein Magen grummelt wie ein alter Bär.« Lorenz hielt sich den Bauch und sah sie auffordernd an.
    Doch Natascha schüttelte den Kopf. »Danke, heute nicht. Ich hab mir einen Salat mitgebracht.«
    »Du machst doch nicht etwa eine Diät? Du bist schon dünn genug!« Er formte mit beiden Händen einen kleinen Kreis, der wohl ihre Taille darstellen sollte.
    Natascha war empört. »Quatsch. Aber bei dieser Hitze habe ich keine Lust auf warmes Essen. Da ist so ein frischer, knackiger Salat doch was Feines, oder?«
    Lorenz mimte den Zerknirschten. »Du hast recht. Anstelle des fetten Kantinenessens sollte ich meinem Magen lieber was Gesundes gönnen. Und weißt du was?« Er stand auf und ging auf die Tür zu. »Morgen fange ich damit an. Ganz bestimmt!«
    Lachend verließ er den Raum, und Natascha rief ihm noch »Guten Appetit!« hinterher.

Kapitel 3
    Natascha stand im Flur der Siegener Polizeibehörde und sog den Geruch in sich auf. Mief aus ungelüfteten Büros, der Geruch eines süßen Parfüms, Vanilleduft aus Zerstäubern. Sogleich schloss sie die Augen: In ihrem Geist verbanden sich die Geruchseindrücke mit Farbtönen, die sich miteinander vermischten. Vor ihrem inneren Auge betrachtete sie die Melange, als könne sie auf diese Weise ein Stück ihrer neuen Heimat in sich aufnehmen.
    Natascha genoss in manchen Momenten diese Verschmelzung der Sinne, wenn Gerüche sichtbar wurden und sie in ihnen abtauchen konnte. Viele Jahre hatte sie geglaubt, dass sie mit ihren intensiven Empfindungen allein wäre, und mit niemandem darüber geredet, um nirgends anzuecken. Denn schon früh hatte sie die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen sie nicht verstanden, weil bei ihnen Gerüche und Geräusche – und auch Worte – eben nicht farbig waren. Dann aber lernte sie während eines kurzen Aufenthalts an der Psychologischen Fakultät der Universität Köln eine junge Frau kennen, die erwähnte, dass ihre Buchstaben und Zahlen ebenfalls mit Farben verbunden waren. Und auf einmal bekam dieses außergewöhnliche Zusammenspiel der Sinne einen Namen: Synästhesie. Anschließend saßen die beiden Frauen stundenlang in der Cafeteria des Campus beisammen, sprachen über ihre Empfindungen und tauschten sich über rote »A«s und gelbe Zweien aus. Durch dieses Gespräch waren Natascha die Augen für ihre besondere Fähigkeit geöffnet worden.
    Seither nahm sie sich manchmal kleine Auszeiten, um sich Gerüche anzuschauen oder den Bildern gesprochener Worte hinterherzuspüren. Und sie freute sich gleichzeitig darüber, trotzdem völlig normal zu sein. Sie war einfach nur empfindsamer als andere: eine neurologische Besonderheit.
    Plötzlich raschelte es hinter ihr. Sie zuckte zusammen, riss die Augen auf und drehte sich um.
    »Simon!«
    Diese Schreckhaftigkeit!, fuhr es ihr durch den Kopf. Eine gute Polizistin sollte nicht so schnell zusammenfahren. Sie blickte Simon Steinhaus, einen Kollegen von der Schutzpolizei, empört an. »Warum erschreckst du mich so?«
    Er lächelte sie an und sah ihr intensiv in die Augen. Der dunkle Rand seiner hellblauen Iris irritierte sie jedes Mal. Unvermittelt wurde ihr bewusst, dass sie ihn ebenfalls anstarrte.
    »So geistesabwesend, Frau Kollegin? Alles in Ordnung?«
    Natascha löste ihren Blick von seinen Augen und starrte stattdessen auf Mund und Kinn. Nicht ein einziges Barthaar war mehr zu sehen. Als sie sich vor einem halben Jahr auf der Weihnachtsfeier kennengelernt hatten, war noch ein kleiner dunkelblonder Spitzbart am Kinn gewesen. Das hatte ihm viel besser gestanden als jetzt das glatte Gesicht. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie es sich wohl anfühlte, wenn sie mit der Hand seine Haut berühren würde.
    »Ja und nein«, antwortete sie schließlich. »Ich habe einen Versetzungsantrag gestellt, aber der wurde

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