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Knochenjagd (German Edition)

Knochenjagd (German Edition)

Titel: Knochenjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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hier der Fall.
    Die kleine Leiche war stark zusammengepresst, der Kopf nach unten gedrückt, Arme und Beine gebeugt und übereinandergelegt. Vertrocknete Haut, Muskelgewebe und Bänder umhüllten Brustkorb, Bauch und Glieder und spannten sich über die zarten Gesichtsknochen. Die leeren Augenhöhlen enthielten etwas, das aussah wie verschrumpelte Weintrauben.
    Lisa griff eben nach der Nikon, als Pomier den Kopf durch die Tür streckte und sich an mich wandte. »LaManche hat eine Frage.«
    »Jetzt?« Leicht verärgert.
    Pomier nickte.
    Ich wollte zwar unbedingt mit der Untersuchung anfangen, wusste aber auch, dass der Chef mich nie mit irgendetwas Trivialem belästigen würde.
    »Fotografieren Sie aus jedem Winkel, Nah-und Übersichtsaufnahmen«, sagte ich zu Lisa. »Und dann bitte einen vollen Satz Röntgenaufnahmen.«
    »Die Knochen werden alle übereinanderliegen. Dagegen kann ich nichts tun.«
    »Maßnehmen anhand der Röntgenaufnahmen könnte sich als unmöglich erweisen. Aber versuchen Sie alles. Falls ich noch nicht zurück bin, bis Sie fertig sind, dann wickeln Sie bitte das zweite Baby aus und fotografieren Sie es. Bei irgendwelchen Fragen wissen Sie ja, wo Sie mich finden.«
    Lisa nickte.
    »Gehen wir«, sagte ich zu Pomier.
    Jede Leichenhalle hat ihre eigene Geruchsmischung, manchmal nur schwach, manchmal überwältigend, aber immer wahrnehmbar. Diese Gerüche sind schon so lange Teil meines Lebens, dass ich manchmal davon träume.
    Aus dem Wasser geborgene Leichen stinken mit am schlimmsten. Im Gang überlagerte der Gestank von Santangelos Ertrunkenem die allgegenwärtigen Gerüche von Desinfektionsmittel und Raumspray.
    Das Prügelopfer lag auf dem entfernten Tisch in Raum drei. Das Gesicht der Frau war angeschwollen und verzerrt, die linke Seite lila verfärbt aufgrund von Leichenflecken, das postmortale Absacken des Blutes in die Unterseite der Leiche.
    Robitaille war mit den Haaren der Frau beschäftigt, er suchte ihren Schädel abschnittsweise ab. Pelletier untersuchte die Zehen.
    LaManche und eine SIJ -Fotografin standen an dem anderen Tisch. Sie war sehr groß und sehr blass. Auf dem Namensschild an ihrer Bluse stand S. Tannenbaum. Ich kannte sie nicht.
    Den dritten Anwesenden allerdings schon. Andrew Ryan.
    Als wir an den Tisch traten, legte LaManche die rechte Hand des Babys eben wieder an dessen Seite, hob dann die linke und untersuchte sie. Er sagte nichts, machte keine Notizen.
    Ich wusste, worauf die Gedanken meines Chefs gerichtet waren. Keine Abwehrverletzungen. Natürlich nicht. Das Kleinkind war viel zu hilflos, um sich zu verteidigen, und die Todesursache war höchstwahrscheinlich kein Schlag gewesen. Es hätte also nicht einmal eine Reflexreaktion gegeben.
    Eins fiel mir sofort auf. Jeder im Raum arbeitete leise, man sprach gedämpft und nur, wenn eine Frage gestellt oder eine Anweisung gegeben wurde. Keine Witze. Keine blöden Bemerkungen. Nichts von dem respektlosen Humor, der sonst bei Tatortbesichtigungen und Autopsien manchmal die Spannung löste.
    Das Baby, das nackt auf dem kalten Edelstahl lag, sah viel zu verletzlich aus.
    »Temperance. Vielen Dank.« LaManches Augen sahen über der Maske müde und traurig aus. »Das Kind misst in der Länge siebenunddreißig Zentimeter.«
    Haase-Formel: In den letzten fünf Monaten der Schwangerschaft ergibt die Fötuslänge in Zentimetern geteilt durch fünf den Schwangerschaftsmonat. Ich rechnete schnell nach.
    »Sie ist klein für ein voll ausgetragenes Baby.«
    »Oui. Schädeldach-Rumpf-Länge. Querdurchmesser des Kopfes. Jedes Maß. Der Detective und ich haben uns gefragt, wie genau Sie das Alter bestimmen können.«
    Ich wusste, was LaManche wollte. Ein Fötus wird ab dem siebten Schwangerschaftsmonat als lebensfähig betrachtet. Bei einer früheren Geburt ist ein Überleben möglich, ohne medizinische Intervention allerdings unwahrscheinlich.
    »Für den Fall, dass Sie keine Anomalien finden, aber die Mutter behauptet, das Baby wäre zu früh und tot geboren worden.«
    »Das ist dann die übliche Geschichte. Das Kind war schon tot, ich bin in Panik geraten und habe die Leiche versteckt.« Ryans Unterkiefer arbeitete. »Ohne Zeugen und Beweise für das Gegenteil sind solche Fälle verdammt schwer zu verfolgen.«
    Ich überlegte einen Augenblick. »Ich habe mir das Baby vom Dachboden noch nicht angeschaut, aber das aus der Fensterbank ist vertrocknet und verdreht. Das Gewebe ist so zusammengebacken, dass es schwer sein wird, die Knochen

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