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Knochenjagd (German Edition)

Knochenjagd (German Edition)

Titel: Knochenjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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Gesichtsknochen. Die Oberkiefer-und Jochbeinteile, das Siebbein, die Nasen-und Gaumenknochen, das Gaumenbein, die dünnen Knochenplättchen der conchae nasales aus dem Naseninneren. Den Unterkiefer.
    Bis zu ungefähr einem Jahr nach der Geburt ist der menschliche Unterkiefer entlang der Mittellinie noch nicht verschmolzen. Als ich die beiden Hälften untersuchte, erkannte ich tief in den Höhlen winzige Zähnchen. Keine Überraschung. Zahnknospen erscheinen zwischen der neunten und der elften Woche im Mutterleib. Obwohl ich einige schon fast ausgebildete Kronen sehen konnte, würde ich Röntgenaufnahmen brauchen, um die Zahnentwicklung beurteilen zu können.
    Nach dem Schädel konzentrierte ich mich auf das restliche Skelett, maß die Arm-und Beinknochen und verglich die Werte mit einer standardisierten Tabelle. Jeder Messwert stützte das von der Schädelentwicklung vorgegebene Schwangerschaftsalter.
    Da ich über das Alter nun alles herausgefunden hatte, was möglich war, fing ich behutsam an, vertrocknetes Gewebe von den winzigen Knochen zu lösen.
    Gegen Mittag schaute Pomier vorbei, um zu berichten, dass das St. Mary’s uns ab einundzwanzig Uhr einen Scanner zur Verfügung stellen würde. Ein Radiologe namens Leclerc würde uns in der Lobby abholen.
    Dr. Leclerc drängte auf Diskretion. Lebende Patienten. Tote Babys. Ich wusste genau, was er meinte.
    Alle halbe Stunde schaute Lisa vorbei. Jedes Mal sagte ich ihr, dass ich allein sehr gut zurechtkäme.
    Das stimmte auch. Ich traute den Gefühlen nicht, die in mir herumwirbelten. Immer wieder Bilder von Kevin. Trauer um diese Babys. Wut auf die Frau, die sie umgebracht hatte. Da war ich lieber allein.
    Um eins war ich mit den Knochen fertig. Mein Magen knurrte, und in meiner Stirn machten sich Kopfschmerzen breit. Ich wusste, ich sollte eine Pause machen und etwas essen. Konnte es nicht. Ich fühlte mich fast gezwungen, so viel wie nur irgend möglich in Erfahrung zu bringen, bevor ich diese Babys in ihre dunkle, kalte Höhle zurückschob.
    Ich stellte mir einen Hocker vor das Seziermikroskop und begann die mühevolle Arbeit, jeden Knochen unter Vergrößerung zu untersuchen. Millimeter um Millimeter inspizierte ich jeden Schaft, jede Meta-und Epiphyse, jede Kerbe, jedes Loch und jede Grube und suchte nach Hinweisen auf Krankheit, Fehlbildung oder Verletzung.
    Kurz nach drei rief Ryan an, um mir zu berichten, dass Ralph »Rocky« Trees als Erwachsener polizeilich noch nicht aktenkundig war, als Jugendlicher allerdings schon. Die Akte war zwar geschlossen, Ryan hatte aber Zugriff beantragt.
    Rockys Geschichte stimmte. Er übernahm gelegentlich Fahrten für seinen Schwager, Philippe »Phil« Fast. Sein Schwager hatte eine kleine Transportfirma mit ein paar Lkw s und einem Lagerhaus. Vom vergangenen Dienstagmorgen bis zum späten Sonntagnachmittag war Trees nicht in Saint-Hyacinthe gewesen. Für die Vorstellung, Rocky könnte eine Freundin haben, hatte Phil nur Hohn übrig.
    Das war’s. Kein Gruß. Kein »Wie geht’s?«. Kein Abschied.
    Um zwanzig vor fünf war mein Magen sauer, mein Kopf eine Trommel, und mein Rücken brannte. Aber ich hatte meine Untersuchung abgeschlossen. Leider enthielt mein Formular kaum Informationen.
    Geschlecht: unbekannt.
    Es gibt Studien, die behaupten, dass Kiefer-oder Beckenform oder Unterschiede im Knochenwachstum des postkranialen Skeletts Hinweise auf das Geschlecht eines Fötus oder eines Neugeborenen liefern können. Ich bin nicht überzeugt.
    Rasse: unbekannt.
    Obwohl eine breite, flache Nasenbrücke und breite Wangenknochen auf nichteuropäischen Einfluss hinwiesen, war die Abstammung unmöglich zu verifizieren.
    Angeborene Anomalien: keine.
    Pathologische Befunde: keine.
    Verletzungen: keine.
    Alter: voll ausgetragener Fötus .
    So wenig zu sagen. So ein kurzes Leben.
    Meine Stimmung war zwar schon im Keller, doch sie sank noch tiefer.
    Anstatt Lisa oder Tannenbaum zu rufen, schoss ich eine letzte Fotoserie selbst. Dann legte ich die Knochen in eine kleine Plastikwanne und schrieb LSJML -49278 auf den Deckel und eine Seitenwand.
    Mit roboterhaften Bewegungen stellte ich die Wanne auf die Rollbahre und schob sie durch die Doppeltür in die Leichenhalle. »Mach’s gut, Kleiner«, sagte ich leise, als die Tür ins Schloss fiel.
    Ich wickelte eben LSJML -49277 in Blisterfolie, als das Telefon klingelte. Da ich keine Lust hatte, zu reden oder auch nur höflich zu sein, ignorierte ich es.
    Ich legte das Baby aus der Fensterbank in

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