Knochenjagd (German Edition)
es bei einem Kleinkind einfacher, einen latenten Abdruck zu bekommen, als bei einem Erwachsenen«, sagte ich steif.
Ich hörte Klappern und wusste, dass Tannenbaum einen orangefarbenen Filter auf das Objektiv ihrer Digitalkamera steckte. Wir alle warteten, während eine lange Serie von Klickgeräuschen zu hören war. Die nächste Geräuschfolgte sagte mir, dass sie ein Klebeband benutzte, um den Fingerabdruck abzunehmen.
»Je l’ai«, sagte sie nach ein paar Minuten. »Ich hab ihn.«
Wir arbeiteten noch eine ganze halbe Stunde in der Dunkelheit, aber unsere Bemühungen ergaben sonst nichts von Interesse. Dennoch waren wir alle sehr aufgeregt.
Pomier schaltete das Licht wieder an und ging dann, um im St. Mary’s Hospital wegen des CT -Scanners anzurufen.
Tannenbaum eilte davon, um ihre Beute durchs CPIC , das Canadian Police Information Center, laufen zu lassen. Wie das amerikanische AFIS , das Automated Fingerprint Identification System, fungiert das CPIC als Datenbank für Fingerabdrücke und andere für polizeiliche Ermittlungen wesentliche Informationen.
LaManche fuhr mit seiner äußerlichen Untersuchung des Babys fort. Ryan ging nach oben, um mögliche Rückmeldungen auf die Anfragen abzurufen, die er über Amy Roberts/Alma Rogers/Alva Rodriguez und Ralph Trees in Umlauf gebracht hatte.
Als ich in den Autopsieraum vier zurückkehrte, hatte Lisa sowohl LSJML -49277 wie LSJML -49278 bereits komplett abfotografiert. Außerdem hatte sie Röntgenaufnahmen von Ersterem auf Lichtkästen gesteckt.
Eher pessimistisch schaute ich mir die Aufnahmen an. Ich hatte recht. Das Baby aus der Fensterbank war so fest zusammengepresst, dass das Überlappen der Knochen eine Begutachtung schwierig und ein Maßnehmen unmöglich machte. Frustriert ging ich zum Tisch, wo LSJML -49278 auf seinem jetzt aufgewickelten Handtuch lag.
Von dem Baby vom Dachboden waren nur noch Knochen und Fragmente vertrockneter Bänder übrig. Lisa hatte einige Knochen so arrangiert, dass sie eine winzige Person ergaben. Das meiste lag jedoch auf dem schmuddelig grünen Frotteetuch.
Es überraschte mich nicht, dass sie nicht mehr hatte identifizieren können. Bei einem Neugeborenen sind die Schädelknochen unfertig und noch nicht verschmolzen. Die Wirbelbögen sind noch von den kleinen Wirbelkörpern getrennt. Jede Beckenhälfte besteht aus drei unverbundenen Teilen. Die Röhrenknochen sind amorphe Schäfte ohne die anatomischen Details und die Gelenkoberflächen, die Oberschenkelknochen, Wadenbein, Oberarmknochen, Elle und Speiche unterscheidbar machen. Dasselbe gilt für die winzigen Knochen von Händen und Füßen.
Unterm Strich heißt das: Die meisten Menschen würden ein fötales Skelett nicht erkennen, wenn sie es vor sich liegen hätten. Auch mit einer Ausbildung in juveniler Osteologie kann eine Klassifikation bestimmter Elemente schwierig sein.
Ich schaute auf die Uhr. Es ging bereits auf elf zu.
»Das wird jetzt eine Weile dauern«, sagte ich zu Lisa. »Falls Sie was anderes zu erledigen haben, ich kann auch ganz gut alleine arbeiten.«
Sie wirkte kurz unentschlossen, sagte dann aber: »Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen.«
Ich fing damit an, den Schädel so zu arrangieren, dass die Einzelteile aussahen wie eine explodierte Rosenblüte. Stirn-, Scheitel-, Keil-, Schläfen-und Hinterhauptssegmente. Während ich sortierte, untersuchte ich die Details.
Das Hinterhauptsbein bildet den hinteren Teil und die Basis des Schädels. Bei einem Fötus besteht es aus vier Stücken. Die pars squama ist der obere, gerundete Teil. Die paarig angeordnete pars lateralis und die einzelne pars basilaris liegen darunter, sie umgeben das foramen magnum, das Loch, durch das das Rückenmark zum Gehirn gelangt.
Mit einer Schublehre maß ich die kräftige, kleine pars basilaris. Das Segment war breiter als lang, was das Schwangerschaftsalter des Babys auf etwa sieben Monate festsetzte.
Ich klemmte die linke pars lateralis zwischen die Mess-Schenkel und las den Wert ab. Sie war länger als die pars basilaris. Das erhöhte das Schwangerschaftsalter auf acht Monate.
Dann nahm ich mir den flachen, gezackten Teil des Schläfenbeins vor, den Teil, der die rechte Seite des Babyschädels gebildet hatte. Ein zarter Knochenring, die pars tympanica , war verschmolzen mit einer Öffnung, die ich als Gehörgang identifizierte.
Die Verschmelzung dieses Rings erhöhte das Schwangerschaftsalter noch einmal auf neun Monate.
Nun konzentrierte ich mich auf die
Weitere Kostenlose Bücher